Digitale Technologien rücken aufgrund ihres wachsenden Energieverbrauchs immer stärker in den Fokus von Nachhaltigkeitsdebatten. Der Aufstieg der Künstlichen Intelligenz drängt uns zur Frage, wie diese wachsenden Technologien ökologisch verträglich eingesetzt werden können – und welche politischen, sozialen und technologischen Ansätze dafür nötig sind.
von Anja Kirig
12. Februar 2025
Der AI Action Summit 2025 in Paris brachte rund 100 Nationen und wichtige Branchenvertreter:innen zusammen. Ein Großteil der Teilnehmenden unterzeichnete am Ende des Summits eine Deklaration für eine transparente, ethische, sichere – und vor allem auch nachhaltige Weiterentwicklung der KI. Nicht aber die USA und das Vereinigte Königreich. Was bedeutet das für die Zukunft der Künstlichen Intelligenz? Und wie realistisch ist eine ökologisch und nachhaltig verträgliche KI?
Streaming, Kryptowährungen – und nun auch KI: Die digitale Welt schluckt immer mehr Energie und sorgt so für kontroverse Diskussionen. In einer Next Stop Future-Folge sprach ich mit meiner Podcast-Kollegin Catharina darüber, dass die Effizienzgewinne den Energieverbrauch der KI übersteigen und KI somit trotz ihres hohen Energiebedarfs zur Nachhaltigkeit beitragen könnte. Verlässliche Zahlen zum tatsächlichen und prognostizierten Energieverbrauch der KI sind jedoch schwer zu finden und Daten verschiedener Studien sollten mit Vorsicht interpretiert werden.
Klar ersichtlich ist allerdings das Wachstum der Rechenzentren und deren steigender Strombedarf. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass aktuell 1 bis 1,5% des weltweiten Energiebedarfs von Rechenzentren ausgeht – Tendenz steigend. Bislang wird die Nachfrage nach Rechenleistung noch überwiegend durch fossile Brennstoffe gedeckt. Und auch der Wasserbedarf für die Kühlung der Rechenzentren wird zu einem kritischen Faktor, immerhin verbraucht beispielsweise ein modernes US-Rechenzentrum für das Training von GPT-3 rund 700.000 Liter Frischwasser.
Indem sie tatsächliche Effizienzpotenziale in der Ressourcennutzung, dem Energieverbrauch oder der Kreislaufwirtschaft hebt, kann die KI eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung ökologischer und gesellschaftlicher Herausforderungen spielen. Dafür bedarf es jedoch einer tiefgreifenden politischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Transformation.
Die Eco Transition beschreibt ein Umdenken, durch welches Nachhaltigkeit systemisch verankert wird – statt sie nur auf Verzicht oder Kompensation zu reduzieren. Demnach sollten wir KI-Technologien nicht nur hinsichtlich ihrer Emissionen optimieren, sondern sie aktiv in Systeme der Kreislaufwirtschaft und regenerative Wirtschaftsmodelle einbinden.
Die Conscious Economy erweitert diesen Ansatz und verknüpft die wirtschaftliche Wertschöpfung mit sozialen und ökologischen Zielen – im Falle von Künstlicher Intelligenz beispielsweise dann, wenn KI als Werkzeug für transparente und faire Produktions- und Handelsprozesse eingesetzt wird.
Gleichzeitig spielen gesellschaftliche und ethische Dimensionen eine zentrale Rolle. Die Co-Society fördert neue Formen der Zusammenarbeit, die auf Offenheit und Teilhabe beruhen. Open-Source-KI-Anwendungen können idealerweise eine gemeinschaftliche Entwicklung von Technologie ermöglichen.
Dezentralität wird auch im Rahmen der Glocalisation relevant, die globale Vernetzung mit lokalen, anpassungsfähigen Strukturen kombiniert. Dezentrale KI-Ansätze und Small Language Models (SLMs) stehen dabei für eine nachhaltigere und demokratische Alternative zu energieintensiven zentralisierten Systemen.
Die ethische Dimension zeigt sich in der Human Digitality: KI darf nicht nur funktionale Optimierung betreiben, sondern muss auch menschliche Werte, Privatsphäre und digitale Selbstbestimmung respektieren. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Daten, der Schutz individueller Rechte und die Entwicklung fairer, diskriminierungsfreier Algorithmen sind essentiell, um KI zu einem Instrument für eine lebenswerte Zukunft zu machen.
Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, eine nachhaltige Schlüsseltechnologie zu sein. Ob KI zu einem echten Treiber einer nachhaltigen oder regenerativen Zukunft werden kann, liegt letztlich an einer ganzheitlichen Perspektive auf die Zukunft der KI-Technologie. Nachhaltig sinnvoll wird die Künstliche Intelligenz nur dann, wenn der Fokus nicht nur auf ihrer technologischen Weiterentwicklung liegt, sondern vor allem auf ihre sinnhafte, ökologische und ethisch reflektierte Integration in gesellschaftliche Transformationsprozesse.
Die Sozialwissenschaftlerin Anja Kirig beobachtet kontinuierlich gesellschaftliche Veränderungsprozesse, insbesondere in den Bereichen Sport und Tourismus sowie Gesundheit, Nachhaltigkeit und Post-Individualisierung. In ihren Vorträgen bereitet sie die Inhalte eloquent und anschaulich auf, eröffnet Möglichkeitsräume und bietet Orientierung.
Die vollständige Version dieses Textes hat Anja Kirig auf ihrem Blog veröffentlicht.
Die vernetzte Gesellschaft bietet große Chancen für eine systemische Neuausrichtung auf das Paradigma der Eco Transition – wenn die richtigen Schnittstellen geschaffen werden.
24. Januar 2025
Warum ist es der Menschheit noch immer nicht gelungen, die existenzielle Herausforderung des Klimawandels effektiv anzugehen? In seinem Buch „Ökologische Kommunikation“ kam der Soziologe Niklas Luhmann schon vor rund 40 Jahren zu einem ernüchternden Schluss: Gesamtgesellschaftliche Themen wie die Klimakrise finden keine übergreifende Resonanz, weil die gesellschaftlichen Subsysteme, allen voran Wirtschaft und Politik, nach ihren je eigenen Logiken operieren. So antwortet die Wirtschaft auf ein ökologisches Problem mit Kostenfragen: Was keinen Preis hat, ist wirtschaftlich irrelevant – und was ökologisch vernünftig ist, lässt sich nicht unbedingt preislich kalkulieren. Entsprechend denkt die Politik nur in Machtfragen und Mehrheiten.
Allerdings hat sich die Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Das Strukturprinzip der Vernetzung hat die Oberhand gewonnen, und die Klimaproblematik hat eine neue Dringlichkeit erhalten, die auch die selbstreferenziellen Subsysteme nicht länger ignorieren können. Umweltkatastrophen, mediale Berichterstattungen und globale Protestbewegungen wie „Fridays For Future“ machen klar: Ein Systemwandel ist unumgänglich. Und im Zeitalter der Vernetzung steht dieser Wandel unter deutlich besseren Vorzeichen als noch zu Luhmanns Zeit.
Eine zentrale Rolle spielt dabei das Wirtschaftssystem. Seit vielen Jahrzehnten setzen wir „Wachstum“ mit „Wohlstand“ gleich. Die kapitalistische Wirtschaft steht unter dem Zwang, wachsen zu müssen, um den Status quo zu halten, diese Eigenlogik dominiert das Wirtschaftssystem bis heute. Zugleich sind die negativen Folgen dieses Wachstumszwangs inzwischen transparenter denn je. Jahr für Jahr verbraucht der Mensch mehr Ressourcen als die Erde regenerativ bereitstellen kann.
Zunehmend verbreitet sich deshalb die Erkenntnis, dass der Imperativ des Immer-weiter-wachsen-Müssens unseren Planeten irreparabel beschädigt und die Grundlagen unserer eigenen Existenz gefährdet. In der Conscious Economy etabliert sich daher ein ökologisch verträglicheres Wirtschaften: Immer mehr Unternehmen stellen soziale und ökologische Verantwortung vor das reine Wachstumsdenken, neue Konsumkulturen richten sich auf Nachhaltigkeit und Sinnhaftigkeit aus, Verbraucher:innen achten verstärkt auf Attribute wie bio, fair oder erneuerbar.
Im politischen System eröffnet der wachsende Wille der Bürger:innen zu politischer Teilhabe und Mitgestaltung enorme Chancen für Politik, Demokratie und Gesellschaft – und damit auch für eine Lösung der Klimafrage, die nur dann gelingen kann, wenn sie auf breiter Ebene mitgetragen wird. Zukunftsweisend erscheint hier die Idee eines aktivierenden Sozialstaates, der sowohl klare Regulierungen setzt als auch günstige Rahmenbedingungen für Eigeninitiative schafft. Damit verlagert sich der Fokus automatisch auf die praktische Umsetzung und reale Erfahrungen – die wiederum die Bereitschaft zur Veränderung stärken.
Gerade in globalisierten Zeiten werden dabei lokale Bezüge immer wichtiger, schließlich entscheidet sich letztlich immer im Kleinen, ob große Herausforderungen gelingen oder scheitern. Wegweisend ist hier die Transformation der Glocalisation, die eine weltoffene Haltung mit dem Fokus auf überschaubare, kleine Einheiten verbindet – „think global, act local“. Im Kontext der Klimakrise ist diese glokale Perspektive von hoher Relevanz, da sich konkrete Herausforderungen in einer globalisierten Welt besser regional und lokal regeln lassen – auch wenn der Staat die ökologischen Rahmenbedingungen vorgibt.
Schon der Blick auf die beiden wegweisenden Subsysteme der Wirtschaft und der Politik macht deutlich, dass die vernetzte Gesellschaft viele Potenziale bietet, um diese ökosoziale Transformation zu stärken. Essenziell sind dabei vor allem neue Schnittstellen zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Eine nachhaltige Gesellschaft kann nur hervorgehen aus einer ganzheitlichen Verknüpfung von politischen Rahmenbedingungen, veränderten Produktions- und Konsummustern und umweltverträglichen technischen Innovationen. Viele Impulse und Initiativen von Unternehmen und aus der Zivilgesellschaft leben diese Nachhaltigkeit bereits praktisch vor.
Auch deshalb sind Themen wie Klimaerwärmung, Biodiversitätsverlust und Rohstoffverknappung heute omnipräsent, das Umwelt- und Verantwortungsbewusstsein der Bevölkerung steigt kontinuierlich. Die Netzwerkgesellschaft bietet die Chance, diese kulturelle Dynamik noch weiter zu fördern. Zukunftsweisend sind neue Allianzen, die ökologische und soziale Fragen zusammenzudenken und auch das Thema Innovation unter umweltpolitischen Aspekten fördern. Mit klugen Weichenstellungen kann die vernetzte Gesellschaft zum Katalysator für eine nachhaltige Zukunft werden.
Jede Kultur braucht ein Super-Mem, ein übergreifendes Narrativ, dass die Gesellschaft zusammenhält, indem es für eine geteilte Vorstellung einer erstrebenswerten Zukunft sorgt. Die großen Erzählungen der Vergangenheit haben in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr an Überzeugungskraft verloren.
von Lena Papasabbas
16. Januar 2025
Die fossile Fortschrittserzählung hat ebenso ausgedient wie das Versprechen von wachsendem materiellen Wohlstand für alle, und auch die klassische Technik-Utopie überzeugt nur noch einige wenige Silicon-Valley-Jünger.
Gleichzeitig legt sich die Aussicht auf die ökologische Katastrophe als neue bedrohliche Mega-Erzählung über alles menschliche Tun. In diesem Narrativ ist der Mensch nur noch ein Schädling, der seine eigene Lebensgrundlage zerstört. Jedes Kind kennt inzwischen die Horrorszenarien von aussterbenden Arten, Kriegen um verbleibende Ressourcen und gigantischen Migrationsströmen, die Bilder von überschwemmten Städten, brennenden Wäldern und todbringenden Dürren… Was dagegen fast vollständig fehlt, ist die überzeugende Vision einer positiv aufgeladenen ökologischen Zukunft.
Dabei birgt gerade die Zukunftserzählung eines anderen Verhältnisses von Mensch und natürlicher Umwelt das Potenzial eines neuen Super-Narrativs. Nicht im Sinne eines „Zurück“ in ein vermeintlich harmonisches Gestern, in dem wir alle in Lehmhütten leben und unser eigenes Gemüse anbauen. Sondern als eine Rekombination von vorhandenen technologischen, sozialen und naturwissenschaftlichen Ressourcen zugunsten eines ganzheitlich-systemischen Wandels. Eine sozial gerechte und ökologisch verträgliche Zukunft ist ein global geteiltes Anliegen, das uns als Gesellschaft einen neuen Richtungssinn, ein Zukunftsbild geben kann.
Um die Klimawende zu meistern, muss keine neue technologische Innovation entwickelt werden, keine noch bessere KI, keine weitere Weltverbesserungs-App. Alles, was wir als Gesellschaft brauchen, ist bereits vorhanden. Und anders als viele Generationen vor uns haben wir auch die technologischen und ökonomischen Möglichkeiten, um alternative Pfade einzuschlagen.
Für die Erzeugung von Strom stehen die erneuerbaren Energielieferanten unbegrenzt zur Verfügung. Für die ökologisch verträgliche Produktion von Lebensmitteln sind ausreichend Wissen und Technologien vorhanden. Die Bereitstellung von allen möglichen notwendigen Gütern für die gesamte Weltbevölkerung wäre bereits heute möglich, würden wir auf Umverteilung setzen und unnötige Massenproduktion sowie Verschwendung reduzieren.
Das Prinzip der Wegwerfgesellschaft lässt sich durch smarte Kreisläufe Schritt für Schritt ersetzen. Reuse, Reduce, Recycle – diese Grundprinzipien des ökologischen Handelns setzen vor allem ein Umdenken und ein Neu-Lernen von Kulturtechniken voraus. An vielen Stellen ist dieses Post-Growth-Mindset schon spürbar: sowohl in den zahlreichen minimalistischen und ökologischen Lebensformen, die bereits weltweit Form annehmen, als auch in der Wirtschaft, wo eine wachsende Zahl grüner Geschäftsmodelle, Social Businesses und Deep-Purpose-getriebener Unternehmen auf eine ebenso steigende Menge an kritischen Konsumierenden und Arbeitnehmer:innen trifft.
Gründe zur Hoffnung gibt es viele: Menschen in Deutschland produzieren trotz Bevölkerungsanstieg so wenig Müll wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Immer mehr Staaten verbieten Plastik-Einmalprodukte. Erneuerbare Energien brechen ständig neue Rekorde. Unzählige Aufforstungsprojekte haben zum Zuwachs an gesunden Wäldern auf der ganzen Welt geführt. Die Fläche der weltweiten Meeresschutzgebiete wächst, Walpopulationen erholen sich… Doch angesichts der übergreifenden Katastrophenerzählung und der immer alarmistischeren Medienlandschaft bleiben all die guten Nachrichten nicht hängen.
Was uns fehlt ist ein verbindendes Narrativ, dass die positiven Entwicklungpfade die schon beschritten wurden zusammenführt und eine lebendige, lustvolle Beziehung zur Zukunft erlaubt – jenseits von Hoffnungslosigkeit und Weltuntergang.
Dieses „nächste Narrativ“ muss auch die Möglichkeiten und Verheißungen neuer Technologien integrieren, vor allem aber muss es die Rolle sozialer und struktureller Innovationen stärken, indem es soziale und ökologische Nachhaltigkeit wieder zusammen denkt. Denn soziale Entwicklung steht in direktem Zusammenhang mit einer gelingenden Beziehung zur natürlichen Umwelt. Echter Wandel ist nur systemisch möglich.
Der Innovationswahn und immer ausgefeilteres Storytelling und Content-Welten rund um Marken haben das eigentliche Produkt zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Die Marken und ihre originäre Leistung driften immer weiter auseinander. Doch nun kündigt sich ein Comeback der Qualität an: Ein „Zurück zum Produkt“, dass den gesamten Produktkreislauf einschließt.
Ein Auszug aus dem Future:Guide Marketing.
von Lena Papasabbas
15. Januar 2025
Wir leben in einer Gesellschaft und vor allem in einer Wirtschaft, in der das Neue grundsätzlich als das Bessere gilt. In ihrem Bestseller „The Innovation Delusion“ beschreiben Lee Vinsel und Andrew L. Russell, wie unsere Obsession mit dem „Next Big Thing“ die moderne Zivilisation in die Sackgasse führt: Alle jagen ständig dem nächsten Trend hinterher, stets auf der Suche nach dem Neuen und Besseren. Alle wollen „Innovation“, weil Innovation gleichbedeutend erscheint mit Profit. So wird jede kleinste Neuerung, jedes Update zur großen Innovation aufgebläht.
Doch je mehr Marken sich als „innovativ“ darstellen, umso weniger geht diese Marketingstrategie auf. Die Erkenntnis, dass hinter den allermeisten „Innovationen“ nicht mehr steckt als toll klingende, aber inhaltsleere Marketingversprechen, führt zu Enttäuschungen. Und während ein medial aufgeblasener Hype den nächsten ablöst, wird immer deutlicher: Echte Innovationen, die unsere Lebensqualität wirklich erhöhen, haben Seltenheitswert.
„Wir schätzen Güter nicht ausreichend für ihre nützlichen Funktionen, sondern konzentrieren uns auf den irrationalen Wert der Symbolik von Dingen.“
– Juliet Schor, Ökonomin & Soziologin
Mehrere gesellschaftliche Großtrends weisen in die gleiche Richtung: von Kapitalismuskritik und Postwachstumsbewegungen über Feminismus und Minimalismus bis zur Abkehr von Massenkonsum und Wegwerfgesellschaft. Künftig funktioniert die Erzählung der Innovation als Selbstzweck nicht mehr. Das Interesse verschiebt sich: weg von der Suche nach dem Neuen hin zu funktionierenden, hochwertigen Angeboten, die das Leben wirklich verbessern. Diese wirken auf den ersten Blick wenig spektakulär. Echte Verbesserung entwickelt sich oft graduell und nicht mit einem großen Knall. Wenn es darum geht, das Leben der Menschen wirklich zu verbessern, muss das Neue häufig hinter dem Erhalt und der Verbesserung des Alten zurückstecken. Dies ist eine der großen Zukunftsherausforderungen für die Markenkommunikation.
Angesichts der großen Fülle an Marken werden Qualität und Funktionalität wieder zu zentralen Wettbewerbsfaktoren. Allerdings befindet sich das, was Menschen als qualitativ hochwertig wahrnehmen, im Wandel – etwa durch soziale und ökologische Bewegungen. Ein aufstrebender Trend für das Marketing innerhalb dieser gesamtgesellschaftlichen Bewegung ist daher Zirkularität, also die systemische Einbettung einer Marke in wirtschaftliche und ökologische Kreisläufe.
In einer Welt, die immer weniger durch das ständige Erschaffen neuer Dinge funktioniert, sondern zunehmend durch Erhaltung, Wartung, Pflege, Integration und langsame Verbesserung des bereits Bestehenden, gewinnen Langlebigkeit und Zirkularität als Produkteigenschaften stark an Relevanz. Für das Marketing bedeutet auch dies ein Umdenken: weg von blindem Innovationismus, hin zu echter Verbesserung und langlebiger Qualität. Statt „superinnovativ“ wird „superlanglebig“ zum neuen Verkaufsargument. Progressive Marken gehen noch weiter und nehmen den gesamten Produktkreislauf mit in ihre Kommunikation auf.
Das Konzept von Systemen, die auf Kreisläufen basieren und ihr Denken und Handeln langfristig auf Produkt- und Lebenszyklen ausrichten, gewinnt angesichts der gegenwärtigen globalen Herausforderungen immens an Popularität.
Im Konzept der Kreislaufwirtschaft gehen Unternehmen über ihre direkte Wertschöpfung hinaus und beziehen soziale sowie ökologische Werte in ihr Handeln ein. Es geht darum, Ressourcen zu schonen, Abfall zu minimieren sowie Produkte und Materialien möglichst lang im Nutzungskreislauf zu halten. Das ist nicht nur gut für die Umwelt, sondern macht Unternehmen auch langfristig resilient. Auch beim Thema Lieferketten werden Kreisläufe zum interessanten Modell. Zumal neben dem gesellschaftlichen auch der politische Druck steigt, wie das deutsche Lieferkettengesetz und die Verschärfung von EU-Richtlinien zeigen.
Während viele große Marken gerade erst beginnen, die Themen Kreislaufwirtschaft, Langlebigkeit und Reparierbarkeit ernst zu nehmen, zeigen zahlreiche Start-ups bereits, wie erfolgreich zirkuläres Denken und Handeln für Marken aussehen kann:
Indem Zirkularität zum Markenkern wird, übernehmen Marken eine zentrale Verantwortung für den Wandel hin zu einer ökologisch verträglichen Wirtschaft. Dies ist eine große Chance für zukunftsorientiertes Marketing. Circular Brands können jede ihrer Kommunikations- und Positionierungsmaßnahmen mit konkreten Praktiken im Kontext von Kreisläufen verbinden und auf diese zurückführen. Aus linearen Marketingstrategien werden somit ganzheitlich-systemische Marketingwelten, die zirkuläre Prinzipien tief in der Markenkultur verankern. Das Denken und Handeln in Kreisläufen erstreckt sich also nicht nur auf Produkte oder Dienstleistungen, sondern genauso auf die Unternehmenskultur, die die Markenkultur und -identität von innen heraus prägt.
Marken, die als Circular Brands agieren, wachsen nicht mehr linear und rein quantitativ. Sie entwickeln sich evolutionär und qualitativ, indem sie verschiedene Berührungspunkte entlang des gesamten Produktlebenszyklus nutzen. Durch eine verantwortungsvolle Positionierung und nachhaltig-zirkuläres Handeln schaffen sie tiefere Verbindungen zu Konsumierenden und Mitarbeitenden – und generieren durch vielfältige Kommunikationsstrategien und nachhaltige Initiativen langfristige Mehrwerte für Gesellschaft und Umwelt.
Die Initiator:innen der Inner Development Goals (IDG) erkannten, dass wir unsere Nachhaltigkeitsziele nicht erreichen werden, ohne unsere inneren Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Aus diesem Grund wurde das Framework der Inner Development Goals entwickelt. – Ein Auszug aus dem Future:Guide Marketing
von Nina Weiss
15. Oktober 2024
„Wir haben heute die Grenzen rein externer, technokratischer Lösungen zur Lösung globaler, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Probleme erreicht. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, braucht es einen inneren Wandel. Denn die tatsächlich größten Herausforderungen sind Egoismus, Gier und Gleichgültigkeit.“
Diese Aussagen stammen von den Gründer:innen der Inner Development Goals, einer Initiative, die 2020 in Stockholm ins Leben gerufen wurde und innerhalb weniger Jahre zu einer globalen Bewegung wurde. Über 4.000 Wissenschaftler:innen, Expert:innen und Praktiker:innen waren daran beteiligt, darunter renommierte Professor:innen, Psycholog:innen sowie Wirtschaftsweise von MIT und Harvard wie Otto Scharmer, Robert Kegan, Peter Senge und Renée Lertzman.
Äußerer Wandel setzt inneren Wandel voraus. Die IDGs bieten ein Framework, das uns hilft, die für Transformation erforderlichen inneren Fähigkeiten besser zu erkennen, zu verstehen, zu kommunizieren, zu entwickeln und zu integrieren. Sie sind ein Skill-Set für alle, die an Transformation und Zukunft arbeiten: CEOs, Führungspersonen, Politiker:innen, Strateg:innen und Marketingverantwortliche.
Das Open-Source-Framework wird von über 3.000 Kollaboratoren ständig weiterentwickelt. Es besteht aus fünf Bereichen mit insgesamt 23 inneren Fähigkeiten, Kompetenzen und Qualitäten, die aufeinander aufbauen, aber auch einzeln betrachtet werden können. Diese Skills sind für die Bewältigung komplexer Herausforderungen und für die Gestaltung von Transformationen essenziell. Partner:inen der Initiative sind etwa die Universität Harvard sowie Firmen wie Google und IKEA. Der Zugang ist inklusiv gestaltet: Jeder kann mitmachen.
Die IDGs sind entscheidende Fähigkeiten, um Wandel zu gestalten. Dies gilt nicht nur für Einzelpersonen, sondern ebenso für Organisationen und besonders für Marken. Sie bieten eine Orientierung auf dem Weg zu mehr Impact und sind ein nützliches Tool für nachhaltige Markenentwicklung.
Ähnlich wie die SDGs aufzeigen, welche Wirkung ein Unternehmen nach außen hat, helfen die IDGs, zu verstehen, ob die inneren Werte eines Unternehmens zu dem passen, was es nach außen propagiert. Sie sind ein guter Gradmesser dafür, ob ein Unternehmen die nach außen kommunizierten Werte auch im Inneren lebt.
Marken können anhand der IDGs erkennen, welche Fähigkeiten schon in ihnen stecken und welche sich gut für die Kommunikation nutzen oder noch weiter ausbauen lassen. Marken, die noch am Anfang ihrer Transformation stehen, können mit den IDGs beginnen, vorhandene Potenziale und Blindspots zu analysieren und dadurch nächste Schritte identifizieren. Die IDGs zeigen Gestaltungschancen auf und können helfen, besser zu kommunizieren und langfristig erfolgreiche Strategien zu entwickeln.
Heute steht fest: Jedes Produkt und jeder Produktionsprozess hat Auswirkungen auf Mensch und Planet. Die Qualität und die Wirkung der Produkte bestimmen somit auch die Qualität der Marke. – Ein Auszug aus dem Future:Guide Marketing
von Nina Weiss
15. Oktober 2024
Die Reputation von Marken hängt immer stärker davon ab, welche Wirkung sie erzeugen. Egal ob eine Organisation ein nachhaltiges Geschäftsmodell hat oder nicht, im B2C-, B2B- oder Nonprofit-Sektor tätig ist – die SDGs (Sustainable Development Goals) dienen immer als oberste Benchmark. Sie sind das übergeordnete Ziel, an dem sich jede Organisation messen lassen kann.
Die SDGs, die 2015 von 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedet wurden, definieren die größten Herausforderungen unserer Weltgesellschaft. Jede Organisation kann analysieren, auf welche der 17 Ziele sie positiv oder negativ einwirkt. Überwiegen die positiven Effekte auf Gesellschaft, Umwelt oder Wirtschaft, sind dies starke Botschaften für die Marke.
Statt Nachhaltigkeit zählt künftig Impact: Es geht zunehmend um den tatsächlichen Einfluss, den Unternehmen auf die Welt haben. Unternehmens- und Markenstrategien müssen sich daher an den Sustainable Development Goals der UN orientieren.
Die Lebensmittelindustrie hat in den 80er- und 90er-Jahren mit qualitativ fragwürdigen Inhaltsstoffen und viel Geld für Werbung große Marken hervorgebracht. Milka zum Beispiel galt als unangefochtene Nummer eins. Dabei ist ihr Mutterkonzern Mondelēz gemeinsam mit Nestlé einer der größten Abnehmer von Risikogütern wie Kakao und Palmöl. Das macht sie für Waldzerstörung, Artensterben und Kinderarbeit entlang ihrer Lieferkette mitverantwortlich. Die Geschäftstätigkeiten der Marke Milka wirken sich nicht nur negativ auf Gesundheit (SDG 3) aus, sondern auch auf das Leben an Land (SDG 15), den Klimaschutz (SDG 13) und menschenwürdige Arbeit (SDG 8).
Wie man es besser macht, zeigen die Up- und coming Schokoladenmarken wie Tony’s Chocolonely und Fairafric. Beide Marken setzen sich aktiv für faire und umweltgerechte Bedingungen im Handel mit dem Rohstoff Kakao ein. Sie unterstützen die Anbauländer im globalen Süden, statt sie auszubeuten. Damit tragen sie zu nachhaltigem Konsum und Produktion (SDG 12), weniger Ungleichheiten (SDG 10) und der Bekämpfung von Armut (SDG1) bei. Für diese Unternehmen sind die SDGs fester Bestandteil der Marken-DNA.
Es herrscht die weit verbreitete Meinung, höhere Ziele stünden im Gegensatz zum vordergründigen Ziel: Verkaufen. Das entspricht nicht der Realität. Es geht vielmehr um eine Balance zwischen „Profit“ und „Planet“. Verbraucher:innen fordern Transparenz und auch der Druck von politischer Seite wird weiter erhöht. Lieferketten müssen zunehmend offengelegt werden und die Regularien des europäischen Green Deals nehmen zu. Es wird immer teurer, Schaden anzurichten. Auch Konzepte wie „True Costs“ – also die tatsächlichen volkswirtschaftlichen Kosten, die ein Unternehmen durch Umwelt- und Gesundheitsschäden verursacht – gewinnen Aufmerksamkeit.
Eine Unternehmens- und Marketingstrategie ist langfristig nur dann wirtschaftlich erfolgreich, wenn sie beides im Blick hat: Profit und Verantwortung.
Schon im Grundgesetz steht: Ein Unternehmen soll im Sinne der Gesellschaft handeln. Um diese Verantwortung kommen Unternehmen künftig nicht mehr herum. Indem sie einen Beitrag zur Lösung globaler Herausforderungen leisten, entsteht eine neue Form der Markenführerschaft.
Heimischer Hafer statt Kokosnuss und Keto: Wie der Wandel der Ernährungsbranche die großen Transformationen unserer Zeit spiegelt.
Ein Gastbeitrag von Corinna Mühlhausen
04. März 2024
„Normal? Oder mit Fleisch?“ Der „Burger King“-Slogan bringt auf den Punkt, wie stark die pflanzenbasierte Ernährungsweise bereits in den Mainstream diffundiert ist. Dass fleischfreie und fleischarme Ernährung zur neuen Normalität geworden sind, belegen auch die Zahlen des aktuellen Ernährungsreports des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft: Nur noch 20 Prozent der Bundesbürger:innen konsumieren täglich Fleisch oder Wurst, mehr als 70 Prozent essen hingegen täglich oder mehrmals täglich Gemüse und Obst, und nur 47 Prozent haben noch niemals ein vegetarisches oder veganes Produkt gekauft – knapp 40 Prozent hingegen schon öfters.
Der schon immer stark innovationsgetriebenen Lebensmittelbranche beschert der Trend zu vegetarischen oder veganen Produkten eine Welle von Neuheiten. Zu den ausgezeichneten Top-Innovationen der letztjährigen Branchenleitmesse „Anuga“ zählen etwa das „knusprige Pilz-Chili“, das „Vegan No Egg White“, eine „Joghurt-Alternative aus Aprikosen-Kernen“ und die garantiert fischfreie „Tu-Nah“-Konserve.
Zugleich ist keine andere Branche so prädestiniert für das dynamische Zusammenspiel von Trends und Gegentrends wie die Ernährungswelt. So setzt sich langsam auch die Erkenntnis durch, dass vielleicht doch nicht alle Ernährungsalternativen so gesund und nachhaltig sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Einige Beispiele:
Bei Milchersatzprodukten schlägt vor allem eine unausgewogene Bilanz von Gesundheit und Umwelt zu Buche. Für den Anbau von Soja wird Regenwald gerodet, die Produktion von Mandeldrinks fördert die Wasserknappheit in Kalifornien, und Milchalternativen auf Reis-Basis müssen um den halben Erdball transportiert werden, bevor sie bei uns auf dem Tisch landen.
Wie aber kann eine alternative gesunde Ernährung der Zukunft aussehen? Und wie kann die transformative Zukunftsforschung dabei helfen, die Entwicklungen früher zu erkennen und besser einzuordnen? Gerade im Bereich der Ernährung ist die Zeit reif für starke Gegentrends, die es schaffen, eine neue Symbiose aus verschiedenen Bedürfnissen zu bilden. Drei große Transformationsbewegungen spielen dabei eine besondere Rolle:
In den nächsten Jahren werden wir erleben, wie sich einige Zielgruppen noch differenzierter mit den Zusammenhängen zwischen der eigenen Gesundheit, unserer Umwelt und den Funktionalitäten der Foodbranche auseinandersetzen – und die Transformationen der Ernährung dadurch aktiv mitgestalten.
Dass die Lebensmittelbranche diesen Wandel selbst engagiert vorantreibt, belegt auch der „Pakt gegen Lebensmittelverschwendung“, den 14 Groß- und Einzelhändler 2023 mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geschlossen haben. Damit verpflichten sich Aldi, Edeka, Lidl und Co., die Zahl der Lebensmittelabfälle bis 2025 um 30 Prozent und bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren. Als konkrete Maßnahme verkauft Rewe bereits in elf Märkten testweise Bio-Waren verpackungsfrei aus Mehrweg-Großbehältern.
Auch der Erfolg des Startups Haferkater passt in diese Zeit der Transformationen. In vielen Supermärkten, in den Bordbistros der Deutschen Bahn und an zwanzig deutschen Bahnhöfen sind die Produkte rund um den Hafer inzwischen erhältlich – etwa als Milchersatz, Mehl oder Haferreis-Bowls. Der Hafer passt perfekt in unsere Zeit: Er stammt aus heimischem Anbau, enthält viel pflanzliches Eiweiß, Ballaststoffe und verschiedene Mineralstoffe, und aufgrund einer speziellen Form von Klebereiweiß ist er auch für viele glutenempfindliche Personen verträglich.
Die Haferkater-Story steht geradezu beispielhaft für die Transformation der gesunden Ernährung – inklusive einer Crowdinvesting-Kampagne, die das Unternehmen langfristig unabhängig von Investorengeldern machen und nachhaltiges Wachstum ermöglichen soll. So resoniert die neue Ernährungswelt auch mit einer weiteren großen Transformation unserer Zeit, dem Wandel hin zu einer sinnorientierten Conscious Economy.
Wie prägen Trends wie Biotech Boom, Green Hightech oder Soil-free Farming die Transformation der Ernährung? Das Future:System, die transformative Trendsystematik des Future:Project, beleuchtet diese und viele weitere Wandlungsprozesse unserer Zeit – und identifiziert dabei konkrete Gestaltungspotenziale für eine lebenswerte Zukunft.
Corinna Mühlhausen ist Leiterin Trend- und Zukunftsforschung der Uranos GmbH und hat sich auf Gesundheitsmärkte spezialisiert. Ihr Fokus liegt auf Healthstyle, also der Frage: Was bewegt Menschen dazu, sich eigenverantwortlich um Gesundheit und Wohlbefinden zu kümmern, was verstehen sie unter Gesundheit – und welche Werte, Trends und Transformationen treiben die Entwicklungen in Gesundheitsmärkten an?