Human-digitale Bildung

Digitalisierung und Humanität als Pole der Bildungstransformation

Die Zukunft des Lernens beginnt nicht allein durch die Digitalisierung, sondern durch eine humanistische Ausrichtung der Bildungslogik. Ein Ausblick in das Zeitalter menschlicher Digitalität und eine human-digitale Bildung.

von Stephanie Wössner

23. April 2025

Wenn es um Bildung in einer sich rasant verändernden Welt geht, fällt ein Begriff zuverlässig zuerst: Digitalisierung. Sie steht für technischen Fortschritt, neue Möglichkeiten, Effizienz und digitale Lernräume – und die Hoffnung, das Bildungssystem endlich ins 21. Jahrhundert zu holen. Ob KI-gestützte Lernplattformen, Tablets im Unterricht oder automatisierte Leistungsanalyse: der Trend zur digitalen Transformation ist allgegenwärtig. Die Vision klingt modern, adaptiv, zukunftsfest. 

Doch gerade in dieser Dynamik zeigt sich ein wachsendes Bedürfnis nach etwas anderem. Ein Gegentrend tritt auf den Plan: Humanität. Eine Bildung, die sich nicht in Technik verliert, sondern den Menschen – seine Bedürfnisse, Potenziale, Beziehungen und Zukunftskompetenzen – ins Zentrum rückt. Dieser Gegentrend ist keine bloße Reaktion. Er ist Impuls, Korrektiv und Aufbruch ins Zeitalter der menschlichen Digitalität zugleich.

Digitalisierung: Ein Werkzeug – keine Vision

Dass digitale Medien Teil moderner Lernkultur sind, steht außer Frage. Der Trend zum zeitgemäßen Lernen hat die sogenannten 4K – Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken – ins Zentrum gerückt und technische Ausstattung auf die politische Agenda gebracht. Die Realität zeigt jedoch: Digitalisierung allein verändert wenig. Wenn sie auf alte Paradigmen trifft, bleibt sie im Modus der Reproduktion, statt echte Transformation zu ermöglichen. 

Die Digitalisierung bietet Möglichkeiten. Aber sie ersetzt keine Haltung. Wo sie pädagogisch nicht eingebettet ist, entlastet sie zwar überbelastete Lehrkräfte, kann jedoch gleichzeitig bestehende Probleme verstärken: soziale Ungleichheit, Lernstress, Entfremdung, Entmenschlichung. Lernen ist und bleibt ein zwischenmenschlicher Prozess, den digitale Hilfsmittel unterstützen können – aber keine technologische Logik als Selbstzweck. 

Die strukturellen Rahmenbedingungen bleiben bei den meisten Gedanken zur Zukunft des Lernens unangetastet: standardisierte Prüfungen, lehrkraftzentrierte Didaktik, fremdsteuernde Lehrpläne. In dieser Konstellation wird Technik nicht zur Ermöglichung neuer Lernformen genutzt, sondern zur effizienteren Umsetzung alter Muster. Was fehlt, ist der Paradigmenwechsel – weg vom Denken in Tools und Leistung hin zum Denken in Möglichkeiten, Beziehungen und Kompetenzen. Weg von einem Mindset aus Zeiten der Industrialisierung, das auf den Wohlstand weniger Menschen ausgerichtet ist, hin zu einem auf das Wohlergehen aller Menschen fokussierten Mindset der menschlichen Digitalität. 

Wenn Digitalisierung nicht auf eine pädagogische Vision trifft, bleibt sie Technikverwaltung. Wenn sie jedoch auf eine Bildungslogik trifft, die vom Menschen her gedacht ist, kann sie Räume öffnen – für selbstbestimmtes Lernen, für Partizipation und für die Entwicklung jener Kompetenzen, die in einer dynamischen, vernetzten Welt über die Gestaltung einer lebenswerten, inklusiven, nachhaltigen und demokratischen Zukunft entscheiden.

Humanität: Der Gegentrend als Zukunftskraft

Im Gegensatz zum Tool-basierten Denken des zeitgemäßen Lernens steht das zukunftsorientierte Lernen. Es stellt nicht die Mittel, sondern das Ziel in den Mittelpunkt: die Befähigung der Lernenden, ihre persönliche, gesellschaftliche und globale Zukunft aktiv mitzugestalten. Es geht nicht nur um die Reaktion auf Krisen – sondern um Gestaltungskraft, Selbstwirksamkeit und Sinn. 

Zukunftsorientiertes Lernen meint dabei mehr als Projektlernen oder Schulreformen. Es ist ein Paradigmenwechsel, der Bildung neu gestaltet: von einer strukturierenden Logik der Homogenisierung und Standardisierung hin zur Entwicklung von Kompetenzen, Werten, Haltungen und Reflexionsfähigkeit. Es verlagert den Fokus von Ergebnissen auf Prozesse, von Curricula auf Persönlichkeitsentwicklung, von Kontrolle auf Beziehung. 

Diese Neuausrichtung basiert auf einer menschenzentrierten Bildungslogik. Lernen wird nicht als Aneignung von Stoff betrachtet, sondern als individueller, sozialer und kultureller Prozess – in dem Lernende als Mitgestaltende ernst genommen werden und das Lernen ein lebenslanger Prozess ist, der alle Menschen verbindet. Verantwortung, Demokratie, Empathie und Kreativität stehen im Mittelpunkt. 

Und: Zukunftsorientiertes Lernen ist offen für Technologie – aber nicht blind. KI, XR, virtuelle Welten sind wichtige Bausteine – wenn sie im Sinne von Human-Machine-Teamplay und als Gestaltungsräume genutzt werden. Als Verstärker menschlicher Stärken, nicht als Ersatz. Als Räume, in denen Zukunft entstehen kann. Entscheidend ist nicht, dass Technik eingesetzt wird, sondern wie und wofür – und mit welcher Haltung. 

Der Gegentrend zur Digitalisierung ist also nicht nur eine Reaktion – er ist ein Anstoß zur Neuausrichtung. Zukunftsorientiertes Lernen ist keine bloße Modernisierung, sondern Ausdruck der Zukunft des Lernens, nicht bloß ihrer digitalen Oberfläche.

Vier Meta-Strategien für eine human-digitale Bildung

Learning for Life – Bildung als gemeinsame Verantwortung über Generationen, Lebensphasen und Institutionen hinweg. 

Playfulness – eine spielerische, kreative Haltung zum Lernen, die Raum für Exploration, Scheitern und Neugier lässt. 

Learning Environments – physische, digitale und virtuelle Lernräume, die sozial vernetzt sind und Partizipation und Gestaltung ermöglichen. 

Human-Machine Teamplay – Technologien nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung menschlicher Stärken. 

Diese Strategien führen weg vom kurzfristigen Funktionieren und hin zu einer nachhaltigen Bildung, die Menschen befähigt, Komplexität auszuhalten, Verantwortung zu übernehmen und Zukunft zu gestalten.

Sprache als Schlüssel zur Zukunft

Im Spannungsfeld von Trend und Gegentrend wird deutlich: Auch Sprache ist nicht neutral. Sie ist kein bloßes Kommunikationsmittel, sondern ein machtvolles Instrument, das prägt, was wir sehen – und was wir für möglich halten. Im Kontext der aktuellen Bildungsdebatten spielt Sprache deshalb eine zentrale Rolle. In einer Zeit, in der KI Texte generiert, Gespräche führt und Entscheidungen unterstützt, wird Sprache anders als oft befürchtet nicht unwichtiger – sondern zentraler: Sie wird zur Gestaltungskraft. 

Sprache strukturiert unsere Wirklichkeit und unser Denken über Bildung. Sie ist das Medium, durch das wir Ideen formen, Zukunft entwerfen und uns miteinander verständigen. Wer von „Bildung der Zukunft“ spricht, meint häufig eine modernisierte Version des Bekannten: digitalisiert, automatisiert, effizient. Wer dagegen von der „Zukunft des Lernens“ spricht, denkt Bildung von ihrem eigentlichen Ziel her: der aktiven Mitgestaltung einer noch offenen, lebenswerten Zukunft. 

Diese Unterscheidung ist mehr als semantisch. Sie offenbart die Denkrichtung hinter den Begriffen und zeigt, dass es nicht genügt, Bestehendes zu verbessern. Wir brauchen neue Narrative, neue Begriffe, neue Sprachbilder, um neue Möglichkeitsräume zu eröffnen. 

Gerade im Umgang mit KI wird Sprache zur Schlüsselkompetenz: Je mehr wir mit Maschinen in natürlicher Sprache interagieren, desto entscheidender wird unsere Fähigkeit, Gedanken klar zu formulieren, Perspektiven differenziert auszudrücken und gemeinsam zu reflektieren. Wer im Sinne des Human-Machine Teamplay mit KI zusammenarbeitet, braucht keine bloße Bedienkompetenz, sondern Ausdrucksstärke, Sprachbewusstsein und kommunikative Sensibilität. 

Das gilt nicht nur in der eigenen Muttersprache. In einer global vernetzten Welt, in der Menschen, Ideen und Technologien über Sprachgrenzen hinweg wirken, wird auch die Fähigkeit, in anderen Sprachen zu denken und zu kommunizieren, zum integralen Bestandteil zukunftsorientierter Bildung. Denn Sprache ist mehr als eine Aneinanderreihung von Worten – sie zeigt Haltung, ermöglicht Teilhabe und eröffnet Zukunft.

Gegentrends als Treiber tiefen Wandels

Gegentrends wie der zur Humanität sind keine bloßen Kontrapunkte zu dominanten Entwicklungen. Sie markieren produktive Spannungsfelder, setzen kreative Korrekturen und eröffnen visionäre Perspektiven. Sie fordern uns heraus, vertraute Routinen zu hinterfragen – nicht aus Nostalgie oder Verweigerung, sondern aus einer tiefen Überzeugung: dass Bildung mehr sein kann und muss als das, was sie heute ist.

Gerade weil der Trend zur Digitalisierung so stark ist, braucht es heute mehr denn je die bewusste Entscheidung, die Zukunft des Lernens nicht von der Technik her, sondern vom Menschen her zu denken.

Der Future:Guide Bildung zeigt zahlreiche Impulse für eine human-digitale Bildung, die Transformation nicht nur beschreibt, sondern sie aktiv gestaltet. Er zeigt, warum Zukunft nicht in der Technik beginnt, sondern im Denken – und wie Technologien wie Künstliche Intelligenz, Extended Reality oder Videospiele dann kraftvoll wirken, wenn sie pädagogisch sinnvoll eingebettet werden.

Playful Learning

Der Abschied vom traditionellen Leistungsdenken bereitet den Weg für eine neue, spielerische Lernkultur. Ein Auszug aus dem Future:Guide Bildung.

von Stephanie Wössner

6. Februar 2025

In einer hochgradig vernetzten und volatilen Welt gewinnt die Fähigkeit, spielerisch zu denken und zu handeln, radikal an Relevanz. Spielerisches Lernen beschreibt diesen ergebnisoffenen und explorativen Umgang mit digitalen Technologien, Systemen und Wirklichkeiten. Bildung wird dabei zunehmend zu einem interaktiven und sinnstiftenden Prozess, der Resilienz, Kreativität und systemisches Denken stärkt – zentrale Fähigkeiten in einer dynamischen Welt.

Game-based Learning

Dies verdeutlicht auch der Ansatz des Game-based Learning (GBL). Spiele werden dabei als komplexe Interaktions- und Gestaltungsräume genutzt, in denen Lernende Zukunftskompetenzen wie systemisches Denken, Kreativität und soziale Fähigkeiten entwickeln können. Im Unterschied zu Gamification (das Einfügen spieltypischer Elemente in nicht-spielerische Kontexte zur Motivationsförderung) oder Lernspielen (im deutschen Sprachraum häufig zu Unrecht als Serious Games bezeichnet) geht es bei GBL nicht um konkrete Bildungsziele, sondern um die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und die Entwicklung zentraler Zukunftskompetenzen.

Gut gestaltete Spiele wenden dieselben Prinzipien an, die auch generell für erfolgreiches Lernen entscheidend sind, etwa Handlungsfähigkeit, Problemlösen und systemisches Denken. Diese Prinzipien unterstützen Lernende dabei, sich aktiv und eigenverantwortlich mit Lerninhalten auseinanderzusetzen und komplexe Zusammenhänge zu verstehen.

GBL ist besonders wertvoll für zukunftsorientiertes Lernen, da es nicht nur kognitive, sondern auch soziale und kreative Fähigkeiten fördert. Die Möglichkeit, in einem sicheren Raum zu experimentieren und aus Fehlern zu lernen, stärkt die Selbstbestimmung und die Selbstwirksamkeit der Lernenden. Dies führt zu tiefgreifenden und nachhaltigen Lernprozessen: Die Spielewelten selbst werden zu Interaktions- und Gestaltungsräumen, in denen Zukunftskompetenzen entstehen – mit einem hohen Maß an intrinsischer Motivation.

Intrinsische Motivation

Intrinsische Motivation wird oft als der „Heilige Gral“ der Bildung bezeichnet. Sie ist essenziell für erfolgreiche Lernerlebnisse – und kann durch selbstbestimmtes Handeln, sinnvolle Herausforderungen und persönliches Feedback gefördert werden. In vielen etablierten Lernkontexten sind diese Elemente zwar oberflächlich vorhanden, dennoch werden Herausforderungen meist vorgegeben, und Regeln erscheinen oft willkürlich. So ermöglicht das Feedback in Notenform vor allem einen Vergleich mit anderen – und erhält die intrinsische Motivation nur in Ausnahmefällen aufrecht. 

Gut gestaltete Spiele setzen dagegen auf Selbstbestimmung. Sie bieten sinnvolle Regeln, die logisch und nachvollziehbar sind, selbstgewählte Herausforderungen, die den individuellen Fähigkeiten der Spieler:innen entsprechen – und Belohnungen, die einen echten persönlichen Wert haben. Und während man in der Schule für Fehler in der Regel bestraft wird, ermöglichen Spiele das Lernen aus Fehlern, auf Basis selbstgewählter Herausforderungen. All diese Faktoren führen im Spiel zu nachhaltiger Motivation: Sie vermitteln das Gefühl, Kontrolle über den Lernprozess zu haben und echte, sinnvolle Fortschritte zu erzielen.

Insgesamt fördern Spielelemente also ein tieferes Engagement und eine größere Zufriedenheit. Würden Bildungssysteme diese Prinzipien übernehmen und die Selbstbestimmung als Grundvoraussetzung integrieren, könnte das Lernen nicht nur effektiver, sondern auch erfüllender gestaltet werden.

Zukunftsorientiertes Lernen

Über den notwendigen Paradigmenwechsel im Bildungssystem. Ein Auszug aus dem Future:Guide Bildung.

von Stephanie Wössner

6. Februar 2025

Die Welt befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel – gesellschaftlich, technologisch und wirtschaftlich. Die Klimakrise, die digitale Transformation und zunehmende gesellschaftliche Spannungen erfordern auch eine neue Ausrichtung der Bildung und des Lernens in Richtung eines aktiven Beitrags zur gesellschaftlichen Entwicklung.

Dies bedeutet auch einen Umbruch in der Idee des Lernens: weg von der Idee des „zeitgemäßen Lernens“, das oft eine Anpassung an die Gegenwart bewirkt, hin zu einem „zukunftsorientierten Lernen“, das auf eine grundlegende Veränderung der Lernprozesse zielt. Das Konzept geht weit über die reine Vermittlung von Wissen hinaus: Ziel ist es, Lernende zu befähigen, sich in einer komplexen Welt nicht nur zurechtzufinden, sondern sie auch aktiv mitzugestalten.

Lernen im 21. Jahrhundert Schaubild

Learning for Future

Zukunftsorientiertes Lernen stellt die Lernenden in den Mittelpunkt und betrachtet Bildung als lebenslangen, dynamischen Prozess. Es setzt auf personalisierte Lernziele und -wege, die sich an individuelle Bedürfnisse, Interessen und Talente anpassen, und fördert kollaboratives, kreatives und reflektierendes Denken sowie Selbstwirksamkeitserfahrungen und Selbstbestimmung.

Drei Punkte sind dabei zentral:

  • Selbstbestimmtes Lernen: Lernende gestalten ihren Lernprozess aktiv mit und übernehmen Verantwortung für ihr Lernen.
  • Interdisziplinäres Denken: Statt isolierter Fachinhalte werden komplexe, vernetzte Herausforderungen betrachtet.
  • Gesellschaftliches Engagement: Bildung wird als Mittel zur Mitgestaltung der Zukunft verstanden.

Im Kern geht es um eine Transformation der Lernkultur: Zukunftsorientiertes Lernen verabschiedet sich von einem lehrenden Ansatz, bei dem Wissen vorgegeben und reproduziert wird. Lernprozesse sind nicht mehr linear und standardisiert, sondern flexibel und auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten. Lernende übernehmen Verantwortung für ihren eigenen Bildungsweg: Sie setzen eigene Ziele, bestimmen ihre Lernwege und erhalten Unterstützung von Lehrkräften, die sie als Mentor:innen begleiten. 

Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Entwicklung von Zukunftskompetenzen. In einer sich wandelnden Welt wird es zunehmend wichtig, nicht nur analytisch und kritisch zu denken, sondern auch souverän mit Unsicherheit und komplexen gesellschaftlichen Problemen umzugehen. Kreativität, Resilienz, kritisches Denken, Teamarbeit und Verantwortungsbewusstsein sind daher ebenso ausschlaggebende Elemente wie eine neue Kultur im Umgang mit Fehlern.

Ein neuer Umgang mit Digitalität

Eine wichtige Rolle im Kontext des zukunftsorientierten Lernens spielt auch ein neuer Umgang mit digitalen Technologien. Anstatt lediglich bestehende Prozesse zu digitalisieren, verlagert sich der Fokus auf das Konzept der Human Digitality: Digitale Technologien werden hier nicht als Mittel zur Optimierung traditioneller Lernmethoden oder zur Entlastung gestresster Lehrender gesehen, sondern als Werkzeug zur Förderung genuin menschlicher Kompetenzen wie Kreativität, Empathie und kritisches Denken. 

Dies erfordert auch eine bewusste Gestaltung von Lernumgebungen, in denen digitale Tools neue Perspektiven eröffnen und innovative Lösungsansätze ermöglichen. Übergreifendes Ziel ist es, Lernende zu einer konstruktiven Auseinandersetzung mit der digitalen Welt zu ermutigen – und diese aktiv mitzugestalten, anstatt sie nur passiv zu konsumieren.

Bildung für mehr Demokratie

Wie kann Bildung dazu beitragen, gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen? Über Demokratiebildung im Zeitalter der Krise. Ein Auszug aus dem Future:Guide Bildung.

von Stephanie Wössner

6. Februar 2025

Die westlichen Demokratien stehen unter Druck. Der Aufstieg autoritärer und rechtspopulistischer Strömungen, befeuert durch Desinformation und algorithmische Verzerrung in digitalen Medien, macht deutlich: Demokratie ist keine selbstverständliche Gegebenheit, sondern eine Errungenschaft, die aktiv erhalten und weiterentwickelt werden muss. Wie kann eine zukunftsorientierte „Demokratiebildung“ diesen zersetzenden Kräften entgegenwirken?

Demokratie im Bildungsauftrag

Bildung hat in demokratischen Gesellschaften immer auch eine politische Dimension. Der Bildungsauftrag geht weit über die Vermittlung von Wissen hinaus und umfasst die Förderung von Mündigkeit, kritischem Denken und der Fähigkeit zur Partizipation und zur Zukunftsgestaltung. In Deutschland ist dies im Grundgesetz sowie in den Schulgesetzen der Länder festgeschrieben: Bildung soll dazu befähigen, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen und sich aktiv am demokratischen Leben zu beteiligen.

Doch angesichts der akuten Herausforderungen für die Demokratie reicht ein traditionelles Verständnis von politischer Bildung dafür nicht mehr aus. Es genügt nicht, Fakten über Wahlsysteme und politische Institutionen zu vermitteln. Vielmehr muss Demokratiebildung ein aktiver, erfahrungsbasierter Prozess sein, der vor allem Kinder und Jugendliche befähigt, Demokratie nicht nur zu verstehen, sondern aktiv mitzugestalten.

Digitale Räume und Demokratiebildung

Die Digitalisierung hat grundlegend verändert, wie Menschen sich informieren, kommunizieren und politisch engagieren. Soziale Medien und Online-Plattformen sind heute zentrale Orte politischer Debatten, bergen aber auch Risiken: Filterblasen, Desinformation und gezielte Meinungsmache erschweren den offenen Diskurs. Hier setzt eine zukunftsorientierte Demokratiebildung an, die sowohl digitale Kompetenz als auch medienkritisches Denken fördert:

  • Kritische Medienkompetenz: Wie lernen insbesondere Kinder und Jugendliche, Informationen zu hinterfragen, Quellen zu überprüfen und Manipulationsversuche zu erkennen?
  • Partizipation in digitalen Räumen: Wie kann Bildung die aktive Beteiligung an gesellschaftlichen und politischen Diskussionen fördern, offline wie online?
  • Ethische Reflexion der digitalen Öffentlichkeit: Welche Verantwortung tragen wir als Bürger:innen in digitalen Räumen – und wie beeinflussen Algorithmen die öffentliche Meinung?

Um der wachsenden Bedrohung durch digitale Desinformation und Meinungsmanipulation entgegenzuwirken, ist die Verbindung von Demokratiebildung und Human Digitality essenziell. Entscheidend ist dabei die Befähigung, digitale Räume aktiv und verantwortungsvoll mitzugestalten. Ebenso wichtig wie der Umgang mit bestehenden digitalen Strukturen wird es, diese Strukturen demokratisch mitzugestalten und ihre ethischen sowie gesellschaftlichen Auswirkungen zu reflektieren.

Demokratie als gelebte Bildungspraxis

Eine zentrale Rolle kommt hierbei dem zukunftsorientierten Lernen zu: Basierend auf Selbstbestimmtheit, Autonomie und personalisierten Lernprozessen gibt es Lernenden die Möglichkeit, sich aktiv mit der Welt und ihrer eigenen Zukunft auseinanderzusetzen. Zukunftsorientiertes Lernen verbleibt nicht in isolierten, didaktisch vorbereiteten Szenarien, sondern ist eng verknüpft mit realen gesellschaftlichen Herausforderungen.

In einer Zeit wachsender demokratischer Herausforderungen bedeutet Demokratiebildung dann sehr viel mehr als die Vermittlung von theoretischem Wissen: Im Kern geht es um die Förderung einer Kultur der Partizipation und des kritischen Denkens. Bildungsräume werden damit zu Orten, an denen Demokratie gelebt wird. In offenen Diskussionen, im Modus des selbstbestimmten Lernens, in einem Klima, das Vielfalt und Engagement wertschätzt.

Bildung im Zeichen der Digitalität

Wie verändert die Digitalisierung unser Verständnis von Bildung und Lernen? Wegweisend ist der Ansatz der Human Digitality. Ein Auszug aus dem Future:Guide Bildung.

von Stephanie Wössner

6. Februar 2025

Im Bildungsbereich wird die Diskussion über „Digitalisierung“ oft auf technologische Innovationen reduziert, etwa in Form von digitalen Tafeln, Lernplattformen oder KI-gestützten Analyseverfahren. Um das Bildungssystem für das 21. Jahrhundert aufzustellen, greift dieser Ansatz aber zu kurz – das bloße Übertragen von analogen Lehrmethoden in digitale Formate reicht nicht aus. Wir brauchen stattdessen ein tieferes und umfassenderes Verständnis dessen, was Digitalität bedeutet und welche Rolle sie für eine zukunftsorientierte Bildung spielt.

Von Digitalisierung zur Digitalität

„Digitalisierung“ bezeichnet im Bildungskontext zunächst nur die Umwandlung analoger Inhalte in digitale Formate und die Optimierung von Lehr- und Lernprozessen durch Technologie. Online-Kurse, digitale Whiteboards und automatisierte Lernsysteme sind heute oft selbstverständlich. Schulen und Universitäten haben in den vergangenen Jahren versucht, den Unterricht mithilfe digitaler Werkzeuge effizienter und interaktiver zu gestalten – meist jedoch ohne größere Erfolge. 

Denn Digitalisierung allein ändert nichts an der Grundstruktur des Lernens, sondern bleibt oft ein Add-on zum bestehenden Bildungssystem, das weiterhin dem alten Paradigma der Industrialisierung verhaftet ist. Standardisierte Tests, lehrerzentrierter Frontalunterricht und festgelegte Lehrpläne dominieren noch immer. Diese Strukturen werden durch die bloße Verwendung digitaler Technologien nicht infrage gestellt.

Hier setzt der Begriff „Digitalität“ an, der zumindest betont, dass Menschen aktiv in digitalen Kulturen handeln. Dennoch ist die Haltung auch hier passiv: Der Mensch reagiert auf digitale Veränderungen, verarbeitet Informationen neu und agiert innerhalb algorithmischer Systeme. Wirklich zukunftsweisend ist ein Verständnis von Digitalität, das Menschen befähigt, nicht nur in digitalen Umgebungen zu navigieren, sondern aktiv neue Strukturen und Zukünfte zu gestalten.

Human Digitality

Eine solche ganzheitliche Perspektive, die den Menschen als gestaltendes Wesen in den Mittelpunkt stellt, eröffnet das Konzept der Human Digitality – eine der sechs großen Transformationsdynamiken unserer Zeit, die das Future:Project in seinem Future:System beschreibt. Eine „menschliche Digitalität“ umfasst sehr viel mehr als nur technologische Anpassungen: Sie beschreibt eine tiefgreifende kulturelle und gesellschaftliche Veränderung – die auch ein grundlegendes Umdenken in Bildungsprozessen erfordert. 

Im Zeitalter der Human Digitality muss Bildung darauf abzielen, dass Lernende digitale Werkzeuge nicht nur nutzen, sondern verstehen, gestalten und kritisch hinterfragen können. Der Fokus liegt also auf den individuellen und gemeinschaftlichen Fähigkeiten, mit digitalen Medien nicht nur zu interagieren, sondern sie kreativ und verantwortungsbewusst mit Blick auf eine lebenswerte Zukunft zu nutzen.

Daraus ergeben sich neue Anforderungen an Bildungssysteme:

  • Personalisierung statt Standardisierung: Lernprozesse müssen sich an den individuellen Bedürfnissen und Interessen der Lernenden orientieren, anstatt einem starren Lehrplan zu folgen.
  • Kompetenzorientierung statt Wissensreproduktion: Lernende sollten nicht Fakten auswendig lernen, sondern die Fähigkeit entwickeln, Informationen kritisch zu bewerten, Probleme kreativ zu lösen und Wissen selbst zu generieren – mit dem Ziel, die Zukunft mitzugestalten.
  • Ko-kreatives Lernen statt hierarchischer Vermittlung: Lehrkräfte werden zu Begleiter:innen und Partner:innen, die Lernende in offenen, kollaborativen Prozessen unterstützen.

Verantwortungsvolle Mediennutzung statt reiner Technikanwendung: Medienkompetenz bedeutet mehr als das Erlernen technischer Fertigkeiten. Sie umfasst ethische, soziale und kulturelle Aspekte digitaler Interaktion mit dem klaren Ziel einer lebenswerten Zukunft.

Bildung als Nährboden für die Gestaltung der Welt

Im Zeitalter der Human Digitality kann Bildung nicht länger als reine Wissensvermittlung verstanden werden, sondern als ein Raum, in dem Menschen lernen, ihre eigene und die gemeinsame Zukunft aktiv zu gestalten. Dies erfordert einen systemischen Wandel, der weit über technologische Innovationen hinausgeht. Insbesondere Schulen und Hochschulen müssen sich von der Vorstellung verabschieden, dass Lernen der Anpassung an bestehende Strukturen dient. Stattdessen werden Bildungsstätten zu Orten, an denen Lernende ihre Potenziale entfalten, eigene Ideen entwickeln und gemeinsam Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft finden.

Die Frage lautet also nicht mehr, wie wir Digitalisierung in den Unterricht integrieren können. Sondern: Wie gestalten wir Bildung mithilfe digitaler Technologien so, dass sie den Menschen stärkt, inspiriert und befähigt?

Zukunft der Bildung

Warum „zeitgemäßes Lernen“ im 21. Jahrhundert nicht mehr ausreicht und worauf das Bildungssystem von morgen basiert. Ein Auszug aus dem Future:Guide Bildung.

von Stephanie Wössner

6. Februar 2025

In der heutigen Bildungslandschaft wird oft betont, wie wichtig die Anpassung an die aktuellen gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen sei. Konzepte wie „zeitgemäßes Lernen“ sollen helfen, den Lernprozess in eine digitalisierte und komplexe Welt zu integrieren. Doch reicht das wirklich aus? So sehr zeitgemäßes Lernen bestehende Strukturen verbessern kann: Im Kern bleibt es weiter dem Bildungsparadigma des vergangenen Jahrhunderts verhaftet. Deshalb ist es an der Zeit, Bildung nicht nur an bestehende Herausforderungen anzupassen, sondern grundlegend neu zu definieren – mit dem Ziel, die Zukunft aktiv mitzugestalten.

Die Grundlagen des Bildungssystems

Das moderne Schulsystem hat seine Wurzeln in der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts. Damals bestand das Hauptziel der Bildung darin, konforme, produktive Arbeitskräfte für die wachsenden Fabriken hervorzubringen. Standardisierte Lehrpläne, Frontalunterricht und Prüfungen sollten Gleichförmigkeit und Hierarchie fördern. Die Schule wurde nach dem Vorbild der Fabrik organisiert: Im Mittelpunkt standen Disziplin, Effizienz und Kontrolle.

Bereits im 20. Jahrhundert verlangte die Arbeitswelt aber zunehmend nach Kompetenzen wie Kreativität, Kollaboration und kritischem Denken. Spätestens am Übergang zum 21. Jahrhundert, mit der Verbreitung des Internets und digitaler Medien, begann sich das Verständnis von Lernen dann deutlich zu verändern. Hier setzt auch das Konzept des zeitgemäßen Lernens an: Es versucht, bestehende Strukturen durch neue pädagogische Ansätze und digitale Technologien zu modernisieren und Bildung interaktiver und anwendungsorientierter zu gestalten.

Die Widersprüche des zeitgemäßen Lernens

Tatsächlich orientiert sich zeitgemäßes Lernen stark an den Anforderungen des 21. Jahrhunderts, indem es Digitalisierung, Medienkompetenz und kollaboratives Arbeiten zu integrieren versucht. Im Mittelpunkt stehen die sogenannten 4K-Kompetenzen: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken. In der Praxis bleiben jedoch viele Maßnahmen häufig an der Oberfläche: Digitalisierung wird dann nur als eine technologische Ergänzung betrachtet – und nicht als Werkzeug für tiefgreifende Bildungsreformen. Lehrpläne bleiben dann starr, Leistungsbewertungen basieren weiterhin auf standardisierten Tests, und die Rolle der Lehrenden als Wissensvermittelnde bleibt unangetastet.

Darin zeigt sich ein zentrales Paradox des zeitgemäßen Lernens: Einerseits sollen moderne Technologien neue Lernmethoden ermöglichen, andererseits wird weiterhin auf alten, industriebasierten Strukturen aufgebaut. So bleiben zum Beispiel Prüfungen und Notensysteme bestehen, obwohl bekannt ist, dass sie oft wenig über die tatsächlichen Kompetenzen von Lernenden aussagen. Ebenso sind Lehrpläne und Unterrichtsformate weiterhin stark reglementiert – obwohl oft betont wird, dass Kreativität gefördert werden soll.

Ein Widerspruch zeigt sich auch im Umgang mit der Digitalisierung selbst. Neue Technologien haben das Potenzial, personalisierte Lernprozesse zu ermöglichen – ihre Integration wird aber oft von technischen Restriktionen und administrativen Vorgaben behindert. Damit konserviert der Einsatz digitaler Medien häufig lediglich traditionelle Methoden, ohne den Lernprozess grundlegend zu transformieren. So bleibt das zeitgemäße Lernen oft reaktiv: Es bereitet Lernende darauf vor, sich an neue Gegebenheiten anzupassen, befähigt sie aber nicht, die Welt aktiv mitzugestalten. Angesichts globaler Herausforderungen wie Klimawandel, Digitalisierung und gesellschaftlicher Polarisierung reicht dies nicht mehr aus.

Von Anpassung zu Gestaltung

Im 21. Jahrhundert braucht das Bildungssystem mehr als nur eine Modernisierung: Es braucht eine Transformation hin zu einem zukunftsorientierten Lernen, das die Lernenden als zentrale Akteur:innen ernst nimmt und Zukunftskompetenzen wie Kreativität, Resilienz, kritisches Denken, Teamarbeit und Verantwortungsbewusstsein aktiv fördert. 

Der schulischen Bildung kommt dabei eine Schlüsselrolle zu – schließlich ist sie der Nährboden, auf dem eine zukunftsfähige Gesellschaft erwächst. Schulen wandeln sich daher von Orten der Wissensvermittlung zu Keimzellen für die Entwicklung von Kompetenzen, die für eine konstruktive Zukunftsgestaltung notwendig sind. Schulbildung hat dann nicht nur die Aufgabe, Lernende auf einen wandelnden Arbeitsmarkt vorzubereiten, sondern sie zu aktiven Gestalter:innen einer lebenswerten Zukunft zu machen. Dies erfordert Umgebungen, in denen Lernende ihre Potenziale entfalten, Verantwortung übernehmen und sich mit komplexen gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzen können.

Zukunft des Lernens: Die KI-Chance

Wie lässt sich KI sinnvoll im Bildungsbereich nutzen? Die Voraussetzung ist ein struktureller Wandel des Bildungssystems.

Ein Gastbeitrag von Stephanie Wössner

13. Februar 2024

Im 21. Jahrhundert steht das Bildungssystem an einem Wendepunkt. Prägende Krisenereignisse – von Pandemien und Klimawandel bis zu globalen Konflikten – sowie zahlreiche Bildungsstudien der vergangenen 15 Jahre haben tief verwurzelte strukturelle Mängel offengelegt, die nicht länger mit halbherzigen Reformen zu bewältigen sind. Um den Anforderungen einer sich rasant verändernden Welt gerecht zu werden, ist eine umfassende Transformation des Bildungswesens notwendig. Künstliche Intelligenz spielt in diesem Prozess eine signifikante Rolle. Doch um die KI-Potenziale zu entfalten, sind grundlegende Veränderungen hin zu einem zukunftsorientierten Lernen notwendig.

Ohne Herz keine Zukunft

Unser Bildungssystem gleicht einem geschwächten Herzen: Es ist unfähig, das lebensnotwendige Elixier effektiv durch die Adern unserer Gesellschaft zu pumpen. Die Probleme sind nicht nur oberflächlich, sie sind Symptome einer tieferen Malaise, hervorgerufen durch veraltete Traditionen und einen ausgeprägten Widerstand gegen notwendige Veränderungen. Denn das heutige Bildungssystem ist ein Relikt der industriellen Revolution, das individuelles und kreatives Denken durch standardisierte Prüfungen und uniforme Lernwege unterdrückt. Um die großen Herausforderungen unserer Zeit anzugehen, ist es essentiell, das Bildungssystem von Grund auf zu heilen und zu erneuern.

Eine vernetzte Welt verlangt Flexibilität, Kreativität und Teamarbeit – Fähigkeiten, die ein Einheitsmodell der Bildung ausblendet. Zukunftsweisend ist dagegen ein System, das personalisiertes, lebenslanges Lernen fördert und die Talente des Individuums in den Mittelpunkt stellt. Bildung muss daher weit über die reine Wissensvermittlung hinausgehen und zum Nährboden für die Entwicklung vieler Kompetenzen für eine aktive und verantwortungsbewusste Teilhabe an der Gesellschaft werden. Die Basis für die Entwicklung einer ganzheitlichen Persönlichkeit und die Förderung des lebenslangen Lernens bilden Lernumgebungen, die vielfältige Erfahrungen ermöglichen. Dabei kann Technologie uns helfen – und uns gleichzeitig erlauben, uns wieder mehr auf das Menschsein zu besinnen.

Erweiterte menschliche Intelligenz

Bislang hat KI in der Bildung vor allem für Aufsehen gesorgt durch die Herausforderungen, die sie für traditionelle Lehr- und Bewertungsmethoden darstellt. Die Technologie bietet zwar neue Möglichkeiten für die Unterrichtsgestaltung und die Beurteilung von Leistungen, für die „Datafizierung“ jedes Schrittes eines Kindes oder Jugendlichen im Kontext von Learning Analytics. Doch diese Perspektiven zeigen nur, wie viele Menschen an einem überholten Verständnis von Bildung festhalten. Sie übersehen das wahre Potenzial, das Algorithmen maschinellen Lernens für das menschliche Lernen darstellen: nicht durch die Digitalisierung von bisher analogen Prozessen, sondern weil Algorithmen des maschinellen Lernens die Lernkultur komplett verändern können. 

Nein, das Erlernen von Sprachen lässt sich keineswegs durch KI ersetzen. Aber wir könnten jedem Menschen – perspektivisch von Geburt an – einen individuellen KI-Assistenten zur Seite stellen, der diese Person kennt, sie fördert und fordert, anstatt mit der Lupe nach Dingen zu suchen, die sie nicht kann. Dieser persönliche Assistent könnte die menschliche Intelligenz erweitern und uns dabei unterstützen, die Talente, die in uns schlummern, zu fördern – um maßgeblich zur Lösung bestimmter Herausforderungen und zur Gestaltung der Zukunft beitragen zu können. Und was wäre, wenn uns diese Daten gehören würden und wir sie ganz oder teilweise auf sicherem Wege mit den Menschen teilen könnten, denen wir vertrauen, sodass sie uns bei unserer persönlichen Weiterentwicklung unterstützen können?

Lernen als Human-Machine Teamplay

Für die Zukunft des Lernens bedeutet dies vor allem, dass wir unabhängig von jeglicher Technologie den „Raum“ neu gestalten müssen, in dem sich die Kompetenzen entwickeln, die in Zukunft zur Handlungswilligkeit und -fähigkeit und damit dem individuellen und globalen Wohlergehen beitragen. Wer könnte dafür besser geeignet sein, als die Personen, die seit jeher Lerndesigner:innen sind, nämlich die Lehrkräfte? Allerdings müssen wir uns dafür von der Konvention verabschieden, diesen Raum rein als physischen Raum zu verstehen. 

Zukunftsorientierte Lernräume bilden Umgebungen, in denen aus Fehlern gelernt werden darf, in denen wir uns gemeinsam weiterentwickeln und vielfältige Erfahrungen machen dürfen, die dazu beitragen, dass alle Menschen Verantwortung für die Zukunft übernehmen. Und das schließt auch virtuelle Räume mit ein. Entscheidend ist, dass der selbstbestimmte Mensch dabei stets im Zentrum steht – mit seinen Kompetenzen und seiner gestalterischen Rolle, die auch durch Ansätze wie Game-based Learning, Design und Futures Thinking entwickelt werden kann. Technologien wie Extended Reality und virtuelle Welten, aber ganz besonders KI als erweiterte menschliche Intelligenz oder gar als Lernpartner:in können in dieser Lernumgebung eine unterstützende Rolle spielen.

Bildung für eine bessere Zukunft

Die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft setzt voraus, dass Bildung auf persönliche Entwicklung und zukunftsorientiertes Lernen ausgerichtet ist. Der Weg dorthin verlangt eine grundlegende Veränderung in der Einstellung aller Akteure. Es ist eine Reise, die Zeit, Mut zur Selbstreflexion und die Bereitschaft erfordert, gemeinsam an der Gestaltung unserer Zukunft zu arbeiten. Dieser Prozess beginnt mit dem heutigen Tag. Er fordert von einigen ein Loslassen alter Vorstellungen, von anderen die Erkenntnis, dass ihr Beitrag essentiell für die positive Entwicklung unserer Gesellschaft ist.  

Indem wir als Gemeinschaft ein neues Mindset fördern, das individuelle Potenziale erkennt und fördert, können wir die Grundlage schaffen für eine Bildung, die allen Menschen das Gefühl vermittelt, einen wertvollen Beitrag zur Gestaltung der Zukunft zu leisten und Mitspracherecht zu haben. Schaffen wir gemeinsam als Gesellschaft Raum für die Entwicklung dieses neuen Mindsets! Sprechen wir darüber, welche wünschenswerten Zukünfte wir uns vorstellen könnten! Und darüber, was wir tun können, um diese erstrebenswerten Zukünfte wahrscheinlicher zu machen.

Hier finden Sie ein Beispiel, wie eine meiner wünschenswerten Zukünfte aussieht:

Wie prägen Trends wie Transforming Education, Cross-cultural Learning oder Digital Literacy die Transformation des Bildungswesens? Das Future:System, die transformative Trendsystematik des Future:Project, beleuchtet diese und viele weitere Wandlungsprozesse unserer Zeit – und identifiziert dabei konkrete Gestaltungspotenziale für eine lebenswerte Zukunft.


Stephanie Wössner
ist freiberufliche Referentin und Beraterin für zukunftsorientiertes Lernen mit den Schwerpunkten Extended Reality, Game-based Learning, KI, Metaverse, Design and Futures Thinking. Hauptberuflich war sie über zehn Jahre Lehrerin und leitet mittlerweile die Stabsstelle Zukunft des Lernens am Landesmedienzentrum Baden-Württemberg.

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