Die neue Welt(un)ordnung

Deutschland und Europa am Scheideweg

von Prof. Dr. André Reichel

5. Mai 2025

Die geopolitischen Verschiebungen der vergangenen Monate und Jahre haben Europa in eine Phase struktureller Unsicherheit geführt – und zugleich für seltene analytische Klarheit gesorgt. Die Entscheidung der USA, ein Rohstoffabkommen mit der Ukraine zu schließen, markiert eine Zäsur im transatlantischen Verhältnis. Der exklusive Zugriff auf kritische Ressourcen und ein gemeinsamer Wiederaufbaufonds werfen grundsätzliche Fragen zur Rolle Europas in der Weltordnung auf.

Für Deutschland und die EU entsteht daraus nicht nur sicherheitspolitischer Handlungsdruck: Es eröffnet sich auch die Chance, eigene strategische Interessen selbstbewusst zu formulieren – ein Schritt, der das europäische Selbstverständnis neu definiert.

Identitätskrise und neue Souveränität

Gerade für Deutschland ist der Bruch mit den USA nicht nur strategisch, sondern auch emotional tiefgreifend. Über Jahrzehnte waren die Vereinigten Staaten sicherheitspolitischer Garant und kulturelles Leitbild, vom Marshallplan bis zur Westbindung der Bundesrepublik. Diese Verlässlichkeit wurde lange als selbstverständlich betrachtet. Doch mit dem geopolitischen Fokus der USA auf den Indopazifik, wachsender innenpolitischer Polarisierung und schwindender Bereitschaft zu multilateraler Bindung zeigt sich: Europa kann sich nicht länger auf Amerika stützen.

Der Verlust dieses Bezugsrahmens hinterlässt ein kulturelles und politisches Vakuum. Deutschland muss sich neu verorten – normativ, strategisch und gesellschaftlich. Diese Destabilisierung ist zugleich eine Chance: für einen Reifeprozess, der Verantwortung nicht als Last, sondern als Gestaltungsmacht versteht. Das erfordert nicht nur außenpolitische Instrumente, sondern auch eine breite Debatte über Europas Rolle in einer konfliktreichen, multipolaren Welt. Das Friedensprojekt Europa braucht ein Update – als wertebasierte, aber strategisch orientierte Ordnungskraft im 21. Jahrhundert.

Deutschlands neue Rolle

Die wirtschafts- und finanzpolitischen Beschlüsse vom März diesen Jahres, getragen von einer verfassungsändernden Mehrheit in Bundestag und Bundesrat, markieren einen tiefgreifenden Kurswechsel: Die Schuldenbremse wird gelockert, massive Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung, Bildung und Verteidigung angekündigt. Damit verabschiedet sich Deutschland von der lange dominierenden Austeritätspolitik und bekennt sich zu einem aktiven, investierenden Staat in geopolitisch unsicheren Zeiten. Diese Maßnahmen sind mehr als haushaltspolitische Anpassungen – sie zeigen den Willen, Deutschlands Rolle im internationalen System neu zu definieren. Auch auf europäischer Ebene wird dieser Richtungswechsel als Zeichen wachsender Gestaltungsfähigkeit wahrgenommen.

Im Inneren deutet sich ein Paradigmenwechsel an: weg vom reaktiven Staat hin zu einem gestaltenden Akteur, der strukturelle Schwächen adressiert und Zukunftsfähigkeit durch strategische Investitionen sichert. Das eröffnet Chancen für eine neue deutsche Führungsrolle – vorausgesetzt, sie wird europäisch eingebettet. Nur durch koordinierte Investitionen, gemeinsame Industriepolitik und institutionelle Reform kann eine solche Rolle integrativ wirken. Der Green Deal, die Sicherheitsunion und die Reform des Stabilitätspakts sind zentrale Hebel für ein strategisch handlungsfähiges Europa – und Deutschland muss bereit sein, hier politische Initiative zu zeigen.

Europas Weg zu strategischer Autonomie

Strategische Autonomie ist seit Jahren Teil des europäischen Diskurses – ihre konkrete Umsetzung ist jedoch noch schwach ausgeprägt. Trotz hoher Verteidigungsausgaben fehlen der EU zentrale Strukturen: eine gemeinsame Eingreiftruppe, abgestimmte Rüstungsprojekte, vernetzte Nachrichtendienste und eine schlagkräftige Cyberabwehr. Projekte wie der digitale Euro oder die europäische Raumfahrtpolitik setzen wichtige Impulse, bleiben aber bislang isolierte Vorstöße.

Autonomie darf jedoch nicht rein institutionell gedacht werden. Eine zentrale Herausforderung liegt in der Abwehr hybrider Bedrohungen – vor allem aus Russland. Desinformation, Cyberangriffe und gezielte Sabotage gehören längst zum Arsenal dieser Einflussnahme. Kampagnen wie „Doppelgänger“, die mit gefälschten Medien Vertrauen und politische Stabilität untergraben sollen, verdeutlichen das Ausmaß. Deutsche Sicherheitsbehörden sprechen von einer dauerhaften Bedrohungslage.

Auch physische Angriffe auf Infrastrukturen – etwa auf Bahnlinien oder Energienetze – sind Teil einer Strategie, Europas Handlungsfähigkeit gezielt zu unterminieren. Der hybride Krieg ist Realität – und findet auf europäischem Boden statt. Strategische Autonomie heißt daher auch: Aufbau einer Sicherheitskultur, die digitale wie physische Angriffe ernst nimmt, demokratische Resilienz stärkt und Desinformation als sicherheitspolitische Herausforderung anerkennt.

Verlust und Transformation

Die gegenwärtigen geopolitischen und gesellschaftlichen Umbrüche spiegeln ein tiefer liegendes zivilisatorisches Muster wider. In seinem Buch 2024 erschienenen Buch „Verlust“ beschreibt der Soziologe Andreas Reckwitz die Ambivalenz der Moderne: Fortschritt, Innovation und Beschleunigung gehen mit dem Verlust von Stabilität, Tradition und kultureller Verankerung einher. Je dynamischer Gesellschaften werden, desto mehr geraten Routinen und Sicherheiten ins Wanken – Fortschritt bringt auch Entfremdung.

Diese Dynamik trifft heute besonders auf die geopolitische Ordnung zu. Jahrzehntelang garantierten Allianzen und internationale Normen ein Gefühl der Sicherheit – doch diese Ordnungen verlieren an Bindungskraft. Der Westen als Bezugsrahmen wirkt brüchig, der Verlust betrifft nicht nur Institutionen, sondern auch kollektive Orientierung.

Reckwitz fordert eine „Reparatur der Moderne“ – keinen Rückzug in die Nostalgie, sondern die bewusste Entwicklung von Strategien, um Unsicherheit zu bewältigen. Resilienz wird so zur Schlüsselkompetenz moderner Ordnungspolitik: nicht als Vermeidung von Krisen, sondern als Fähigkeit, mit ihnen produktiv umzugehen. Für Europa heißt das: Es geht nicht um die Rückkehr zu Blocklogiken, sondern um den Aufbau einer kooperationsfähigen, multipolaren Ordnung. Resilienz betrifft nicht nur Sicherheit und Wirtschaft, sondern auch Bildung, Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Eine demokratische Ordnung muss Fragmentierung aushalten können – ohne ihre Integrationskraft zu verlieren. Verlust wird so zum Ausgangspunkt eines neuen, anpassungsfähigen Selbstverständnisses.

Die neuen Zukunftsfragen

Vor dem Hintergrund all dieser Umbrüche  und „Verluste“ stehen Europa strategische und normative Zukunftsfragen ins Haus – weit über institutionelle Reformen hinaus. Gefragt ist politische Intelligenz im Umgang mit Unsicherheit, Machtverschiebungen und ökologischen Grenzen. Drei Leitfragen stechen dabei hervor:

  1. Wie kann Deutschland innerhalb der EU führen, ohne als dominierend zu gelten? Nötig ist ein kooperativer Führungsstil, der nationale Interessen mit europäischer Kohärenz verbindet.
  2. Wie lässt sich wirtschaftliche Souveränität sichern, ohne in Protektionismus zu verfallen? Strategische Industrien wie Halbleiter oder grüne Technologien müssen europäisch gefördert, aber in globale Regeln eingebettet werden.
  3. Wie gelingt gesellschaftlicher Umgang mit dem Verlust vertrauter Ordnungen, ohne in Reaktionismus zu verfallen? Eine resiliente Demokratie braucht Räume für Differenz, ohne ihre Integrationskraft zu verlieren.

Weitere Themen drängen: Wie schützen wir demokratische Prozesse im Zeitalter Künstlicher Intelligenz? Wie behaupten wir ökologische Transformation unter geopolitischem Druck? Und wie ersetzen wir das Wachstumsdogma durch nachhaltige Wohlstandsmodelle? Diese Fragen verlangen nach einem konflikttoleranten, interdisziplinären Politikstil. Und nach einer öffentlichen Kultur, die politische Differenz nicht als Gefahr, sondern als demokratische Ressource versteht.

Fest steht: Europas Zukunft entscheidet sich nicht allein in Verträgen – sondern im Mut, die großen Fragen unserer Zeit neu zu stellen.

Die Metastudie zur Omnikrise analysiert die verschiedenen Krisen unserer Zeit – und schaut „Beyond Crisis“: auf das, was nach den Krisen kommt. Denn der Epochenwandel braucht konstruktive Bilder von der Zukunft, um zu gelingen.

Human-digitale Bildung

Digitalisierung und Humanität als Pole der Bildungstransformation

Die Zukunft des Lernens beginnt nicht allein durch die Digitalisierung, sondern durch eine humanistische Ausrichtung der Bildungslogik. Ein Ausblick in das Zeitalter menschlicher Digitalität und eine human-digitale Bildung.

von Stephanie Wössner

23. April 2025

Wenn es um Bildung in einer sich rasant verändernden Welt geht, fällt ein Begriff zuverlässig zuerst: Digitalisierung. Sie steht für technischen Fortschritt, neue Möglichkeiten, Effizienz und digitale Lernräume – und die Hoffnung, das Bildungssystem endlich ins 21. Jahrhundert zu holen. Ob KI-gestützte Lernplattformen, Tablets im Unterricht oder automatisierte Leistungsanalyse: der Trend zur digitalen Transformation ist allgegenwärtig. Die Vision klingt modern, adaptiv, zukunftsfest. 

Doch gerade in dieser Dynamik zeigt sich ein wachsendes Bedürfnis nach etwas anderem. Ein Gegentrend tritt auf den Plan: Humanität. Eine Bildung, die sich nicht in Technik verliert, sondern den Menschen – seine Bedürfnisse, Potenziale, Beziehungen und Zukunftskompetenzen – ins Zentrum rückt. Dieser Gegentrend ist keine bloße Reaktion. Er ist Impuls, Korrektiv und Aufbruch ins Zeitalter der menschlichen Digitalität zugleich.

Digitalisierung: Ein Werkzeug – keine Vision

Dass digitale Medien Teil moderner Lernkultur sind, steht außer Frage. Der Trend zum zeitgemäßen Lernen hat die sogenannten 4K – Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken – ins Zentrum gerückt und technische Ausstattung auf die politische Agenda gebracht. Die Realität zeigt jedoch: Digitalisierung allein verändert wenig. Wenn sie auf alte Paradigmen trifft, bleibt sie im Modus der Reproduktion, statt echte Transformation zu ermöglichen. 

Die Digitalisierung bietet Möglichkeiten. Aber sie ersetzt keine Haltung. Wo sie pädagogisch nicht eingebettet ist, entlastet sie zwar überbelastete Lehrkräfte, kann jedoch gleichzeitig bestehende Probleme verstärken: soziale Ungleichheit, Lernstress, Entfremdung, Entmenschlichung. Lernen ist und bleibt ein zwischenmenschlicher Prozess, den digitale Hilfsmittel unterstützen können – aber keine technologische Logik als Selbstzweck. 

Die strukturellen Rahmenbedingungen bleiben bei den meisten Gedanken zur Zukunft des Lernens unangetastet: standardisierte Prüfungen, lehrkraftzentrierte Didaktik, fremdsteuernde Lehrpläne. In dieser Konstellation wird Technik nicht zur Ermöglichung neuer Lernformen genutzt, sondern zur effizienteren Umsetzung alter Muster. Was fehlt, ist der Paradigmenwechsel – weg vom Denken in Tools und Leistung hin zum Denken in Möglichkeiten, Beziehungen und Kompetenzen. Weg von einem Mindset aus Zeiten der Industrialisierung, das auf den Wohlstand weniger Menschen ausgerichtet ist, hin zu einem auf das Wohlergehen aller Menschen fokussierten Mindset der menschlichen Digitalität. 

Wenn Digitalisierung nicht auf eine pädagogische Vision trifft, bleibt sie Technikverwaltung. Wenn sie jedoch auf eine Bildungslogik trifft, die vom Menschen her gedacht ist, kann sie Räume öffnen – für selbstbestimmtes Lernen, für Partizipation und für die Entwicklung jener Kompetenzen, die in einer dynamischen, vernetzten Welt über die Gestaltung einer lebenswerten, inklusiven, nachhaltigen und demokratischen Zukunft entscheiden.

Humanität: Der Gegentrend als Zukunftskraft

Im Gegensatz zum Tool-basierten Denken des zeitgemäßen Lernens steht das zukunftsorientierte Lernen. Es stellt nicht die Mittel, sondern das Ziel in den Mittelpunkt: die Befähigung der Lernenden, ihre persönliche, gesellschaftliche und globale Zukunft aktiv mitzugestalten. Es geht nicht nur um die Reaktion auf Krisen – sondern um Gestaltungskraft, Selbstwirksamkeit und Sinn. 

Zukunftsorientiertes Lernen meint dabei mehr als Projektlernen oder Schulreformen. Es ist ein Paradigmenwechsel, der Bildung neu gestaltet: von einer strukturierenden Logik der Homogenisierung und Standardisierung hin zur Entwicklung von Kompetenzen, Werten, Haltungen und Reflexionsfähigkeit. Es verlagert den Fokus von Ergebnissen auf Prozesse, von Curricula auf Persönlichkeitsentwicklung, von Kontrolle auf Beziehung. 

Diese Neuausrichtung basiert auf einer menschenzentrierten Bildungslogik. Lernen wird nicht als Aneignung von Stoff betrachtet, sondern als individueller, sozialer und kultureller Prozess – in dem Lernende als Mitgestaltende ernst genommen werden und das Lernen ein lebenslanger Prozess ist, der alle Menschen verbindet. Verantwortung, Demokratie, Empathie und Kreativität stehen im Mittelpunkt. 

Und: Zukunftsorientiertes Lernen ist offen für Technologie – aber nicht blind. KI, XR, virtuelle Welten sind wichtige Bausteine – wenn sie im Sinne von Human-Machine-Teamplay und als Gestaltungsräume genutzt werden. Als Verstärker menschlicher Stärken, nicht als Ersatz. Als Räume, in denen Zukunft entstehen kann. Entscheidend ist nicht, dass Technik eingesetzt wird, sondern wie und wofür – und mit welcher Haltung. 

Der Gegentrend zur Digitalisierung ist also nicht nur eine Reaktion – er ist ein Anstoß zur Neuausrichtung. Zukunftsorientiertes Lernen ist keine bloße Modernisierung, sondern Ausdruck der Zukunft des Lernens, nicht bloß ihrer digitalen Oberfläche.

Vier Meta-Strategien für eine human-digitale Bildung

Learning for Life – Bildung als gemeinsame Verantwortung über Generationen, Lebensphasen und Institutionen hinweg. 

Playfulness – eine spielerische, kreative Haltung zum Lernen, die Raum für Exploration, Scheitern und Neugier lässt. 

Learning Environments – physische, digitale und virtuelle Lernräume, die sozial vernetzt sind und Partizipation und Gestaltung ermöglichen. 

Human-Machine Teamplay – Technologien nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung menschlicher Stärken. 

Diese Strategien führen weg vom kurzfristigen Funktionieren und hin zu einer nachhaltigen Bildung, die Menschen befähigt, Komplexität auszuhalten, Verantwortung zu übernehmen und Zukunft zu gestalten.

Sprache als Schlüssel zur Zukunft

Im Spannungsfeld von Trend und Gegentrend wird deutlich: Auch Sprache ist nicht neutral. Sie ist kein bloßes Kommunikationsmittel, sondern ein machtvolles Instrument, das prägt, was wir sehen – und was wir für möglich halten. Im Kontext der aktuellen Bildungsdebatten spielt Sprache deshalb eine zentrale Rolle. In einer Zeit, in der KI Texte generiert, Gespräche führt und Entscheidungen unterstützt, wird Sprache anders als oft befürchtet nicht unwichtiger – sondern zentraler: Sie wird zur Gestaltungskraft. 

Sprache strukturiert unsere Wirklichkeit und unser Denken über Bildung. Sie ist das Medium, durch das wir Ideen formen, Zukunft entwerfen und uns miteinander verständigen. Wer von „Bildung der Zukunft“ spricht, meint häufig eine modernisierte Version des Bekannten: digitalisiert, automatisiert, effizient. Wer dagegen von der „Zukunft des Lernens“ spricht, denkt Bildung von ihrem eigentlichen Ziel her: der aktiven Mitgestaltung einer noch offenen, lebenswerten Zukunft. 

Diese Unterscheidung ist mehr als semantisch. Sie offenbart die Denkrichtung hinter den Begriffen und zeigt, dass es nicht genügt, Bestehendes zu verbessern. Wir brauchen neue Narrative, neue Begriffe, neue Sprachbilder, um neue Möglichkeitsräume zu eröffnen. 

Gerade im Umgang mit KI wird Sprache zur Schlüsselkompetenz: Je mehr wir mit Maschinen in natürlicher Sprache interagieren, desto entscheidender wird unsere Fähigkeit, Gedanken klar zu formulieren, Perspektiven differenziert auszudrücken und gemeinsam zu reflektieren. Wer im Sinne des Human-Machine Teamplay mit KI zusammenarbeitet, braucht keine bloße Bedienkompetenz, sondern Ausdrucksstärke, Sprachbewusstsein und kommunikative Sensibilität. 

Das gilt nicht nur in der eigenen Muttersprache. In einer global vernetzten Welt, in der Menschen, Ideen und Technologien über Sprachgrenzen hinweg wirken, wird auch die Fähigkeit, in anderen Sprachen zu denken und zu kommunizieren, zum integralen Bestandteil zukunftsorientierter Bildung. Denn Sprache ist mehr als eine Aneinanderreihung von Worten – sie zeigt Haltung, ermöglicht Teilhabe und eröffnet Zukunft.

Gegentrends als Treiber tiefen Wandels

Gegentrends wie der zur Humanität sind keine bloßen Kontrapunkte zu dominanten Entwicklungen. Sie markieren produktive Spannungsfelder, setzen kreative Korrekturen und eröffnen visionäre Perspektiven. Sie fordern uns heraus, vertraute Routinen zu hinterfragen – nicht aus Nostalgie oder Verweigerung, sondern aus einer tiefen Überzeugung: dass Bildung mehr sein kann und muss als das, was sie heute ist.

Gerade weil der Trend zur Digitalisierung so stark ist, braucht es heute mehr denn je die bewusste Entscheidung, die Zukunft des Lernens nicht von der Technik her, sondern vom Menschen her zu denken.

Der Future:Guide Bildung zeigt zahlreiche Impulse für eine human-digitale Bildung, die Transformation nicht nur beschreibt, sondern sie aktiv gestaltet. Er zeigt, warum Zukunft nicht in der Technik beginnt, sondern im Denken – und wie Technologien wie Künstliche Intelligenz, Extended Reality oder Videospiele dann kraftvoll wirken, wenn sie pädagogisch sinnvoll eingebettet werden.

Gegentrends als Gamechanger für Transformation

Megatrends waren gestern – Trends und ihre Gegentrends formen das Morgen. Wer agieren statt reagieren will, muss die komplexe Dynamik dieses ständig bewegten Systems verstehen lernen.

von Paulina Plinke

16. April 2025

Zukunft ist gestaltbar

Unsere heutige Welt ist von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität geprägt. Bekannte Megatrends zeigen Entwicklungen auf und ermöglichen Prognosen, aber sie versprechen dabei oft eine falsche Zukunftssicherheit.

Wer heute ernsthaft über Zukunft nachdenkt, stößt mit linearen Trendlogiken schnell an Grenzen – denn die wahren Gamechanger kommen dort zum Vorschein, wo Gegenkräfte entstehen und wirken. Gegentrends sind keine bloßen Gegenbewegungen zu vorherrschenden Trends, sondern sie markieren Umbrüche und Aufbrüche und eröffnen neue Möglichkeitsräume für Wandel und Transformation. Gegentrends bedeuten produktive Polarisierungen, kreative Korrekturen und visionäre Veränderungen. Sie sind nicht nur Reaktionen auf das Bestehende, sondern vor allem Impulse für Neues sowie Treiber tiefen Wandels. Im Spannungsfeld zwischen Trends und ihren mannigfaltigen Gegentrends liegt enormes gestalterisches Potential – und diese der Zukunft ureigene Eigenschaft der Gestaltbarkeit ist hochrelevant.

Während ungewisse Zukünfte im unternehmerischen Kontext oft als Risiko betrachtet werden, stellen sie indes Chancen dar, wenn man das eigene Denken entsprechend umformt, sodass man vom Adaptieren zum Transformieren gelangt. Weg von der zu simplen Perspektive zweidimensionaler Trends mit klarer Richtung, hinein in einen Raum für Transformation. Dieser erschließt sich innerhalb der Trend-Gegentrend-Dynamik: Trends bewegen sich in die eine Richtung, Gegentrends konträr dazu. Der entstehende Konflikt zwischen beiden Bewegungen löst sich auf einer höheren   Ebene, in Form einer Synthese. Mit der Erkenntnis dieser unterschiedlichen Strömungen und ihrer Interaktion lässt sich die Welt fortan nicht mehr als lineares, sondern als dynamisches System verstehen und gestalten.

Die Gegentrend-Map

Während es acht große Megatrends gibt, laufen diesen eine weitaus größere Anzahl an Gegentrends entgegen. Viele Gegentrends beziehen sich dabei auf mehr als einen Megatrend. Die Gegentrend-Map zeigt die wichtigsten Entwicklungen unserer Zeit auf:

Gegentrend-Map

Arten von Gegentrends

Während das meistgenutzte Tool in der Trend- und Zukunftsforschung in den vergangenen Jahrzehnten stets das System der Megatrends war, sind die wahren Gamechanger deren Gegenbewegungen. Diese lassen sich in drei Kategorien aufteilen, die sich anhand der Verknüpfung mit existierenden Trends herausbilden:

  • Comeback-Trends (Retro-Trends) folgen einem zyklischen Prinzip, nach dem alle alten Trends nach einiger Zeit wieder an die Oberfläche gespült werden. Hierbei kann die Nostalgie älterer Generationen eine Rolle spielen, aber auch die Vergangenheitsfaszination jüngerer Leute ausschlaggebend sein.
  • Brechungs-Trends (destruktive Trends) laufen einem bestehenden Trend antithetisch entgegen und wirken sich demnach zersetzend darauf aus.
  • Erweiterungs-Trends (konstruktive Trends) hingegen keimen aus anderen Trends auf wie Pflanzensprosse im Frühling; sie sind damit Erweiterungen und Weiterentwicklungen zugleich.

Transformation braucht Tools

Diese vielfältigen Arten von Gegentrends bieten Spielraum für grundlegende Transformationen in vielen Bereichen – vom Alltag über Sparten in Unternehmen bis hin zu gesamtgesellschaftlichen Belangen. Um transformative Vorhaben sinnvoll angehen zu können, bedarf es allerdings eines geeigneten Werkzeugkoffers.

In unserem Zukunftsseminar „Gegentrends – Mit Gegentrends die Welt verändern“ lernen Sie, wie Sie durch die Arbeit mit Gegentrends Ihre Transformation Skills verbessern und konkret anwenden können. Neben umfangreichen Wissen zu Trends und Gegentrends bietet das Seminar die praktische Anwendung von methodischem Handwerkzeug zur Arbeit mit der Gegentrend-Map und konkrete Ableitungen für die gezielte Arbeit mit Trend-Gegentrend-Dynamiken.

Zukunftsseminar „Gegentrends“

8. Mai 2025 | Frankfurt am Main

Referenzen

Ich hatte das Vergnügen, an mehreren Veranstaltungen von The Future:Project teilzunehmen: den beiden „Beyond“-Events, einem After Work, einem Sommer-Event sowie dem Zukunftsseminar zum „Wheel of Transformation“. Jedes dieser Formate war einzigartig, doch was sie alle verbindet, ist die Art und Weise, wie The Future:Project die Zukunft greifbar macht. Komplexe Themen werden nicht nur verständlich vermittelt, sondern auch visuell ansprechend aufbereitet. Man spürt den besonderen Vibe des Teams – eine Mischung aus Leidenschaft, Offenheit und dem echten Wunsch, Wissen auf Augenhöhe zu teilen. Egal, mit welchem Hintergrund oder Vorwissen man kommt, man fühlt sich stets willkommen und inspiriert.

Melanie Breit, Future Business Mentorin & Founderin von Thisis:Complexity

KI als kreative Power für den Handel der Zukunft

Es wird viel über neue Anwendungen von Künstlicher Intelligenz (KI) gesprochen, doch häufig stehen Handelsunternehmen in Deutschland und Österreich noch relativ am Anfang des Einsatzes. Wagen wir einen Ausblick zum Einsatz von KI im Handel, der besonders ein zentrales Thema lösen soll: die Konsumflaute.

von Theresa Schleicher

8. April 2025

„Die kommenden KI-Strategien für den Einzelhandel sind einfacher umzusetzen, als gedacht.“

– Handels-Zukunftsforscherin Theresa Schleicher

Es verändert sich 2025 etwas in der digitalen Diskussion. Laut dem Gartner Hype Cycle hat Künstliche Intelligenz (KI) die Hauptstufe der KI-Angst und Desillusionen erreicht. Die Euphorie weicht unternehmerischer Sichtweise. Das ist sinnvoll, denn es zeigt sich, dass die Gesellschaft längst weiter ist als viele Unternehmen.

Eine neue Generation wächst heran, für 42 Prozent der AI-Natives (12-19 Jahre) ist das irrelevant, ob sie mit einem Bot oder einem Kundenberater online sprechen, solange der Service stimmt. Auch ein Drittel der 12- bis 28-Jährigen in Österreich verwendet ChatGPT bereits regelmäßig. Sie erwarten von Unternehmen nicht nur Lösungen, die funktionieren, sondern inspirieren und begeistern. Das wird genau jetzt, in Zeiten bewussten Konsums, vollen Lagern und Billigaktionswahn, für den Handel in Österreich so wichtig.

Was viele abhält, ist oft ein festgesetzter Irrglaube: Händler im Mittelstand schrecken vor KI-Lösungen zurück, weil ihnen eingebläut wird, dass sie teuer, aufwändig oder kompliziert seien. Konzerne tun sich hingegen oft schwer, KI mit Kreativität und Leichtigkeit zu verbinden. Doch damit verpasst der Handel viele einfache Chancen, neue Kunden zu erreichen und zu begeistern.

Strategien für KI im europäischen Einzelhandel

1. Von vollen Lagern zu neuen Produkthighlights

KI-Tools analysieren das Kundenverhalten, Nachfragetrends, Präferenzen und Kaufhistorien, um maßgeschneiderte Produktempfehlungen zu erstellen. Dabei geht es nicht nur darum, Kund:innen an häufig gekaufte Produkte zu erinnern oder ergänzende Empfehlungen zu geben, um den Warenkorb kreativer zu gestalten. Vielmehr liegt der Fokus zunehmend auf der Entwicklung neuer Produkte und Eigenmarken, basierend auf den stetig wachsenden Datenmengen aus bestehenden Käufen, Suchanfragen, Bewertungen, lokalen und saisonalen Präferenzen, oder Social-Media-Trends. 

Ein Beispiel dafür liefert der asiatische Supermarkt Hema von Alibaba, der neben vorhandenen Daten gezielt Kundenfeedback aus Wettbewerben und Umfragen nutzt, um neue Produkte zu entwickeln. 

Wer im Mittelstand mit den eigenen vollen Lagern und bestehenden Produkten beschäftigt ist, kann mit KI und intelligenten Warenwirtschaftssystemen schnell erkennen, zu welchem Preis, an welchem Ort und welcher Filiale seine Produkte besser funktionieren. Aber auch mit einem Klick Lagerbestände an digitale Plattformen wie Ebay, Kaufland, Amazon etc. verkaufen.

2. KI-Kunden-Tools als Konsumtreiber und echte Services

KI-gestützte Assistenten und intuitive Chatbots, die Sinne wie Tasten, Hören und Sehen simulieren, ermöglichen Interaktionen mit Onlineshops oder Kunden-Apps, die sich zunehmend wie ein Gespräch mit einem menschlichen Verkäufer anfühlen. 

Ein Beispiel ist das deutsche Start-up FrontNow, dessen Bot Fragen wie „Was brauche ich für Gericht XY?“, „Was soll ich essen, wenn ich eine bestimmte Ernährungsweise verfolge?“ oder „Was brauche ich, um meinen Gartenzaun zu reparieren?“ beantworten kann. Konsument:innen gewöhnen sich zunehmend an sinnlich intuitive Tools, die sehen, fühlen und sprechen. Von sprachbasierten und intuitiven Rezeptdatenbanken bis zu Avatar-Küchenhelfern, die Kund:innen neue Impulse im Lebensmittelbereich geben, liegt hier noch viel Potenzial. In anderen Branchen haben KI-Tools eine besonders umsatzsteigernde Wirkung. 

Start-ups wie Arch AI deuten nur an, dass es heute möglich ist, die eigene Wohnung abzufotografieren und in Sekunden wird sie virtuell neu renoviert und umgestaltet. Für Interieur und die Garten- und Baumarktbranche bieten KI-basierte Technologien ganz neue Chancen, Menschen zu inspirieren, die sonst vor weißen Wänden oder grünen Rasen stehen und dann aus Vorsicht oder fehlender Kreativität die wenigen „Standards“ im Markt kaufen. Eine Baumarktkette fragte letztens nach einem passenden Start-up – wir haben es kurzerhand gemeinsam in ein paar Wochen selbst gebaut. Es ist heute so einfach.

3. Von Fachkräftemangel zu digital souveränen Führungskräften

Lange Zeit dominierte die Sorge um den demografischen Wandel das Narrativ der Arbeitswelt: Der Mangel an jungen Fachkräften werde Unternehmen vor immense Herausforderungen stellen. Doch während viele noch über das Problem diskutieren, zeichnet sich in den kreativen Branchen der DACH-Region bereits ein bemerkenswerter Shift ab. Gerade die oberen Altersklassen, die sich aktiv mit generativer KI auseinandersetzen, erleben derzeit eine vielversprechende Zukunft. Sie kombinieren ihre Jahrzehnte an Erfahrung, Fachwissen und Arbeitskompetenz mit KI-gestützten Tools – und sind damit in der Lage, schneller, effizienter und präziser zu produzieren, zu analysieren und innovative Lösungen zu entwickeln. 

In vielen Bereichen entsteht dadurch ein Ausgleich: Während junge Fachkräfte zunehmend von KI-Tools unterstützt oder in manchen Fällen sogar ersetzt werden, entwickeln sich erfahrene Mitarbeiter:innen zu digital souveränen Führungskräften, die nicht nur Technologie verstehen, sondern vor allem wissen, welche Informationen, Impulse und kreativen Ideen sie in KI-Systeme einspeisen müssen, um Kaufimpulse, Innovationen und neue Beziehungen zu gestalten.

Weitere KI-Trends, Beispiele und Strategien der Zukunftsforscherin Theresa Schleicher gibt es auf der Bühne und in der von ihr herausgegebenen Zukunftsstudie Handel.

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Dieser Gastbeitrag erschien zuerst hier.

Radikale Zuversicht

Krisen, Kriege, Katastrophen überall … Warum geht es scheinbar mit der Zivilisation den Bach runter? Ein Grund für dieses erschöpfende Jahrzehnt ist, dass wir uns mitten in einem Epochenwandel befinden!

– Ein Auszug aus dem Buch „Radikale Zuversicht: Ein Handbuch für Krisenzeiten.“

von Lena Papasabbas

Illustration: Julian Horx

4. April 2025

Das Industriezeitalter stirbt und das nächste Zeitalter ist noch nicht geboren. Keine angenehme Phase, zugegeben. Es ist eine Zeit der Krisen, der Kriege, der Umbrüche, der wegbröckelnden Normalitäten: Die fossile Wirtschaft neigt sich dem Ende zu, das Wachstumsparadigma stößt an seine Grenzen, Geschlechterrollen und ihre einst Struktur-gebende Funktion verschwimmen, das System der Nationalstaaten gerät ins Straucheln. Und neben allem anderen mischen digitale Technologien unseren Alltag, unsere Beziehungen und unsere Arbeitswelt weiter auf.

Alte Wahrheiten und Logiken funktionieren nicht mehr, ohne dass das neue Normal schon Kontur angenommen hat.

Doch die gute Nachricht ist: Ein neues Zeitalter steht vor der Tür. Und nicht selten bedeutet ein Epochenwandel einen kulturellen Evolutionssprung. Jetzt ist es an uns, diese Zukunft aktiv zu gestalten. Dafür müssen wir bei uns selbst anfangen. Denn nur wenn wir an eine bessere Zukunft glauben, können wir den Wandel in unserem Sinne gestalten.

Die Kraft der Zuversicht

Zuversicht ist unverzichtbar, um als Individuum und als Gesellschaft zu wachsen. Und sie ist die Basis von Zufriedenheit und Lebensqualität. Die Wirkung von Vorfreude, der kleinen Schwester von Zuversicht, ist gut erforscht. Sie wirkt, als würde das Gehirn von einem gewaltigen Cocktail an Drogen überflutet. Vor allem der Botenstoff Dopamin sorgt für gute Laune, Antrieb und Motivation. So kann die freudige Erwartung des anstehenden Urlaubs einen zur beruflichen Höchstleistungen animieren. Inzwischen ist belegt, dass Vorfreude sogar Stresshormone im Körper vermindert. Zuversicht stabilisiert also nicht nur die Laune, sondern auch die Gesundheit. Umgekehrt macht Pessimismus gestresst, müde und übellaunig.

„‚Es wäre besser gewesen, du wärst zur selben Stunde wiedergekommen‘, sagte der Fuchs. ‚Wenn du zum Beispiel um vier Uhr nachmittags kommst, kann ich um drei Uhr anfangen, glücklich zu sein. Je mehr die Zeit vergeht, um so glücklicher werde ich mich fühlen.‘“

– Antoine de Saint-Exupéry

Ohne Zuversicht kein Fortschritt

Nicht nur das Mental Wellbeing des Einzelnen steht auf dem Spiel. Auch wie Gesellschaften funktionieren – oder eben nicht funktionieren – ist unmittelbar mit unserer Vorstellung von Zukunft verknüpft. Zukunftsangst ist die treibende Kraft für Populismus, Hass und Gewalt. Die geteilte Vision einer besseren Zukunft ist der Motor für Revolutionen, Aktivismus und Engagement.

Diese zwei Triebkräfte können über die kulturelle Evolution einer ganzen Gesellschaft bestimmen. Die anhaltende Rebellion der iranischen Bevölkerung gegen ihr Regime zeigt eindrücklich, welche Macht ein geteiltes Bild von einer besseren Zukunft entfalten kann. Trotz unmenschlicher Repressionen, überfüllter Foltergefängnisse und drohender Todesstrafe setzen sich Menschen für mehr Gleichberechtigung und Selbstbestimmung ein. Der Glaube an eine mögliche, bessere Zukunft ist der größte Feind der Diktatoren und Autokraten.

Doch genauso stark wirkt sich das Fehlen von Zuversicht aus. Der Siegeszug von AfD, Trump und anderen Rechtspopulist:innen fußt auf Zukunftsangst. Nur wer mit Sorge ans Morgen denkt, fühlt sich von den rückwärtsgewandten „Great again“-Ideologien angezogen. Ohne Zuversicht kein Fortschritt.

Erst Zuversicht macht Menschen gut.

KI & Nachhaltigkeit

Die Zukunft der SustAInability

Digitale Technologien rücken aufgrund ihres wachsenden Energieverbrauchs immer stärker in den Fokus von Nachhaltigkeitsdebatten. Der Aufstieg der Künstlichen Intelligenz drängt uns zur Frage, wie diese wachsenden Technologien ökologisch verträglich eingesetzt werden können – und welche politischen, sozialen und technologischen Ansätze dafür nötig sind.

von Anja Kirig

12. Februar 2025

Der AI Action Summit 2025 in Paris brachte rund 100 Nationen und wichtige Branchenvertreter:innen zusammen. Ein Großteil der Teilnehmenden unterzeichnete am Ende des Summits eine Deklaration für eine transparente, ethische, sichere – und vor allem auch nachhaltige Weiterentwicklung der KI. Nicht aber die USA und das Vereinigte Königreich. Was bedeutet das für die Zukunft der Künstlichen Intelligenz? Und wie realistisch ist eine ökologisch und nachhaltig verträgliche KI?

KI – Effizienzbooster oder Energieproblem?

Streaming, Kryptowährungen – und nun auch KI: Die digitale Welt schluckt immer mehr Energie und sorgt so für kontroverse Diskussionen. In einer Next Stop Future-Folge sprach ich mit meiner Podcast-Kollegin Catharina darüber, dass die Effizienzgewinne den Energieverbrauch der KI übersteigen und KI somit trotz ihres hohen Energiebedarfs zur Nachhaltigkeit beitragen könnte. Verlässliche Zahlen zum tatsächlichen und prognostizierten Energieverbrauch der KI sind jedoch schwer zu finden und Daten verschiedener Studien sollten mit Vorsicht interpretiert werden.

Klar ersichtlich ist allerdings das Wachstum der Rechenzentren und deren steigender Strombedarf. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass aktuell 1 bis 1,5% des weltweiten Energiebedarfs von Rechenzentren ausgeht – Tendenz steigend. Bislang wird die Nachfrage nach Rechenleistung noch überwiegend durch fossile Brennstoffe gedeckt. Und auch der Wasserbedarf für die Kühlung der Rechenzentren wird zu einem kritischen Faktor, immerhin verbraucht beispielsweise ein modernes US-Rechenzentrum für das Training von GPT-3 rund 700.000 Liter Frischwasser.

Lösungsansätze für eine nachhaltige KI

Indem sie tatsächliche Effizienzpotenziale in der Ressourcennutzung, dem Energieverbrauch oder der Kreislaufwirtschaft hebt, kann die KI eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung ökologischer und gesellschaftlicher Herausforderungen spielen. Dafür bedarf es jedoch einer tiefgreifenden politischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Transformation. 

Die Eco Transition beschreibt ein Umdenken, durch welches Nachhaltigkeit systemisch verankert wird – statt sie nur auf Verzicht oder Kompensation zu reduzieren. Demnach sollten wir KI-Technologien nicht nur hinsichtlich ihrer Emissionen optimieren, sondern sie aktiv in Systeme der Kreislaufwirtschaft und regenerative Wirtschaftsmodelle einbinden. 

Die Conscious Economy erweitert diesen Ansatz und verknüpft die wirtschaftliche Wertschöpfung mit sozialen und ökologischen Zielen – im Falle von Künstlicher Intelligenz beispielsweise dann, wenn KI als Werkzeug für transparente und faire Produktions- und Handelsprozesse eingesetzt wird.

Gleichzeitig spielen gesellschaftliche und ethische Dimensionen eine zentrale Rolle. Die Co-Society fördert neue Formen der Zusammenarbeit, die auf Offenheit und Teilhabe beruhen. Open-Source-KI-Anwendungen können idealerweise eine gemeinschaftliche Entwicklung von Technologie ermöglichen.

Dezentralität wird auch im Rahmen der Glocalisation relevant, die globale Vernetzung mit lokalen, anpassungsfähigen Strukturen kombiniert. Dezentrale KI-Ansätze und Small Language Models (SLMs) stehen dabei für eine nachhaltigere und demokratische Alternative zu energieintensiven zentralisierten Systemen.

Die ethische Dimension zeigt sich in der Human Digitality: KI darf nicht nur funktionale Optimierung betreiben, sondern muss auch menschliche Werte, Privatsphäre und digitale Selbstbestimmung respektieren. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Daten, der Schutz individueller Rechte und die Entwicklung fairer, diskriminierungsfreier Algorithmen sind essentiell, um KI zu einem Instrument für eine lebenswerte Zukunft zu machen.

Ein technologischer Balanceakt

Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, eine nachhaltige Schlüsseltechnologie zu sein. Ob KI zu einem echten Treiber einer nachhaltigen oder regenerativen Zukunft werden kann, liegt letztlich an einer ganzheitlichen Perspektive auf die Zukunft der KI-Technologie. Nachhaltig sinnvoll wird die Künstliche Intelligenz nur dann, wenn der Fokus nicht nur auf ihrer technologischen Weiterentwicklung liegt, sondern vor allem auf ihre sinnhafte, ökologische und ethisch reflektierte Integration in gesellschaftliche Transformationsprozesse.

Die Sozialwissenschaftlerin Anja Kirig beobachtet kontinuierlich gesellschaftliche Veränderungsprozesse, insbesondere in den Bereichen Sport und Tourismus sowie Gesundheit, Nachhaltigkeit und Post-Individualisierung. In ihren Vorträgen bereitet sie die Inhalte eloquent und anschaulich auf, eröffnet Möglichkeitsräume und bietet Orientierung.

Die vollständige Version dieses Textes hat Anja Kirig auf ihrem Blog veröffentlicht.

zum Originaltext

Neue Wege für kollektives Handeln im Zeitalter der Hyperpolitik

Demokratie gedeiht durch Imagination, kollektives Handeln und aktive Partizipation. Angesichts der Herausforderungen der ‚Hyperpolitik‘, Individualisierung und des demokratischen Rückschritts ist es an der Zeit, neu zu überdenken, wie wir Bürger:innen einbinden, Vertrauen aufbauen und Systeme gestalten, die gemeinsame Verantwortung für langfristige Veränderungen ermöglichen.

von Mathias Behn Bjørnhof

10. Februar 2025

Lassen Sie mich mit meinem eigenen Weg beginnen, auf dem ich mich intensiver mit (den Zukünften) der Demokratie beschäftigt habe. Er war alles andere als linear. In meinem frühen Zwanzigern wechselte ich, wie es junge Menschen tun, von dem Wunsch, Anthropologe zu werden, zu Historiker, Diplomat und Innovationsspezialist – bis ich schließlich zum Zukunftsforscher und Unternehmer wurde.

Jede subtile Veränderung spiegelte meine Neugier und den Wunsch wider, das größere Ganze zu sehen. Erst als ich die Zukunftsforschung entdeckte, erkannte ich, dass ich das perfekte Feld gefunden hatte. Eines, das multidisziplinäre Perspektiven zusammenbringt, um zu erforschen, wie sich Gesellschaften und Systeme im Laufe der Zeit verändern und vor allem, wie wir die Zukünfte gestalten können, die wir sehen wollen.

Das Zeitalter der Hyperpolitik

Zukunftsarbeit, insbesondere wenn sie auf die Demokratie angewendet wird, verbindet sich tief mit dem Kern dessen, was es bedeutet, in einer Gesellschaft zu leben und sie zu gestalten. Demokratie in ihrem modernen Sinne entstand aus dem imaginativen Sprung, dass wir uns eine bessere Zukunft vorstellen könnten. Thomas Mores Utopia – vor über 500 Jahren veröffentlicht – ist ein kraftvolles Beispiel dafür. Es legte den Grundstein für die Vorstellung einer Welt, in der Menschen Einfluss auf ihr kollektives Schicksal haben. Dieser Akt der Vorstellungskraft mobilisierte die Massen und führte zu Revolutionen, die die demokratischen Prinzipien formten, die wir heute als selbstverständlich betrachten.

Aber heute steht die Demokratie vor einer neuen Art der Herausforderung. Wir leben in einem Zeitalter, das einige ‚Hyperpolitik‘ nennen. Alles fühlt sich politisch an und kollektives Handeln ist schwer fassbar geworden. Soziale Medien und eine algorithmusgesteuerte Individualisierung haben den persönlichen Ausdruck verstärkt, während sie unsere Fähigkeit untergraben haben, gemeinsam an geteilten Zielen zu arbeiten. Gemeinschaften zerbrechen, langfristige Verpflichtungen schwinden, und unsere Fähigkeit, systemische Herausforderungen – Klimawandel, Ungleichheit, demokratischer Rückschritt – anzugehen, wird schwächer.

Mit der Intensivierung der Hyperpolitik ziehen sich Individuen in reaktive Haltungen zurück. Äußern Meinungen, aber distanzieren sich von der nachhaltigen Arbeit des Aufbaus von Systemen, die sinnvolle Veränderungen bewirken können. Es ist nicht schwer zu verstehen, warum. Kollektives Handeln erfordert Vertrauen, Verantwortlichkeit und den Glauben, dass die eigenen Bemühungen zählen. Diese Qualitäten sind rar, jetzt wo Institutionen zu schwanken scheinen und die Polarisierung zunimmt.

Demokratie und Zukunft: Intrinsisch verbunden

Demokratie war schon immer ein Akt kollektiver Vorstellungskraft. Sie existiert nicht abstrakt, sondern als etwas, das wir durch Gespräche, Debatten und Handlungen schaffen. Im besten Fall ist Demokratie unordentlich, iterativ und zutiefst menschlich – ein System, das den Wert von Meinungsverschiedenheiten anerkennt und gleichzeitig auf gemeinsame Ziele hinarbeitet. Aber sie ist auch fragil.

In meiner Arbeit kehre ich oft zu der Idee zurück, dass Demokratie eine Debatte ist, die wir ständig neu erfinden. Letztlich geht es darum, Raum zu schaffen, um sich das Mögliche vorzustellen – anstatt sich mit dem abzufinden, was ist. Dies erfordert, dass wir Annahmen in Frage stellen, Systeme hinterfragen, die uns nicht mehr dienen, und an die Möglichkeit von etwas Besserem glauben.

Die moderne Krise der Demokratie betrifft nicht nur den Vertrauensverlust in Institutionen. Es geht um einen Verlust an Vorstellungskraft. Viele Menschen sehen Demokratie als etwas, das ihnen passiert, anstatt sich als Teil dessen zu verstehen. Diese „Stealth-Demokratie“-Mentalität geht davon aus, dass Expert:innen die Dinge hinter den Kulissen regeln, wodurch die Bürger:innen frei sind, sich zurückzuziehen. Aber Demokratie kann ohne aktive Teilnahme nicht funktionieren.

Die Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen

Weltweit steht die Demokratie unter Druck von gleich mehreren Seiten:

  • Wachsende Ungleichheiten spalten Gesellschaften und konzentrieren Macht.
  • Fehlinformation und Manipulation gedeihen in einer fragmentierten Medienlandschaft und untergraben Vertrauen.
  • Individualisierung, angetrieben durch algorithmische Echokammern, entfernt Menschen von gemeinsamen Realitäten.
  • Polarisierung, sowohl politisch als auch sozial, vertieft Spaltungen und entmutigt sinnvollen Dialog.

Wir schaffen Technologie, aber Technologie formt uns wiederum. Das digitale Zeitalter hat neu definiert, wie wir interagieren, wie wir Meinungen bilden und wie wir uns mit Governance beschäftigen. Während diese Kräfte den gesellschaftlichen Zusammenhalt auflösen, schaffen sie auch Möglichkeiten, neu zu denken und neu zu gestalten.

Kollektives Handeln neu denken

Wenn die Demokratie gedeihen soll, müssen wir überdenken, wie wir politische Gemeinschaften aufbauen. Tatsächlicher Wandel ist eine Teamleistung, keine Solo-Mission. Um voranzukommen, müssen wir Systeme entwerfen, die Engagement inspirieren, Verantwortlichkeit fördern und kollektives Handeln ermöglichen.

Hier sind einige mögliche Wege:

  • Bürgerversammlungen: Alltägliche Menschen in strukturierte, beratende Prozesse einbeziehen, in denen sie komplexe Themen abwägen und Politik gestalten können. Dies baut Vertrauen auf und bindet die Bürger:innen wieder in die Entscheidungsfindung ein.
  • Erweiterte Demokratie: Nutzung von Technologie (hauptsächlich digitale Zwillinge), um direktere und transparentere Formen der Teilnahme zu ermöglichen und gleichzeitig Zugänglichkeit und Gerechtigkeit sicherzustellen.
  • Engagement auf Gemeinschaftsebene: Dezentralisierung der Entscheidungsfindung, um die Macht näher an die gelebte Realität der Menschen zu bringen. Dies schafft greifbare Verbindungen zwischen Governance und dem täglichen Leben.
  • Bildung und Volksbildung: In Dänemark erfasst das Konzept der „dannelse“ (ein wesentlicher Bestandteil des Wortes ‚uddannelse‘, das dänische Wort für Bildung) die Idee, ‚ganzheitliche‘ Bürger:innen zu formen, die sowohl kenntnisreich als auch engagiert sind. Wir müssen die staatsbürgerliche Bildung neu überdenken, um Menschen mit den Werkzeugen auszustatten, um sinnvoll an der Demokratie und damit an der Gesellschaft teilzunehmen.

Mathias Behn Bjørnhof ist Zukunftsforscher und Gründer des Beratungsunternehmens ANTICIPATE mit Sitz in Kopenhagen. Auf seinem Blog veröffentlichte er diesen Artikel im englischen Original im Januar 2024.

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Progressive Provinz

Die Progressive Provinz ist ein Gegenentwurf zu hyper-urbanen Zukunftsbildern und zeigt uns, dass auch auf dem Land die Transformation zu zukunftsfähigen Lebensräumen gestaltet wird.

von Jonas Höhn

7. Februar 2025

Die Renaissance des Ländlichen

Das Narrativ der Hyper-Urbanisierung zeichnet ein eindeutiges Bild. Die Zukunft wird darin scheinbar in unersättlich wachsenden Städten bestimmt, während sich ländliche Regionen in eine ewige Rückständigkeit verabschieden: Schulen und Krankenhäuser werden geschlossen, Menschen und Unternehmen wandern ab, der öffentliche Nahverkehr löst sich immer weiter auf und auch die ärztliche Versorgung wird eingestellt.

Auch wenn heute viele Regionen mit solchen Herausforderungen konfrontiert sind, ist diese Erzählung einer hyper-urbanen Zukunft zu eindimensional. Tatsächlich zeigt uns der Gegentrend zur Urbanisierung, dass auch abseits von Großstädten lebenswerte Zukünfte gestaltet werden. In der Progressiven Provinz erleben Dörfer und ländliche Regionen einen Aufschwung zu neuen Zukunftsräumen.

Was ist die Progressive Provinz?

In der Progressiven Provinz entstehen technologische und soziale Innovationen, die weit über die Region hinaus und sogar bis in urbane Zentren hineinwirken. Sie wird geprägt von visionären Mindsets, die sich nicht länger an Gemeindegrößen orientieren und stattdessen auf eine hohe Wandlungsfähigkeit setzen. Ausgehend von verschiedenen Projekten und Innovationen manifestiert sich so ein neues Selbstbewusstsein in ländlichen Räumen. Diese Revitalisierung des Lokalen spiegelt ein wachsendes Zusammenspiel von globalen und lokalen Faktoren wider, das den Kern der Transformation zur Glokalisierung ausmacht.

Ein großer Vorteil kleinerer Gemeinden ist ihr Wandlungspotenzial. Statt in Passivität zu verharren, entdecken viele Regionen, dass sie Veränderungen zügiger und flexibler umsetzen können als manche Großstädte. Zudem ist die Wirksamkeit gelungener Zukunftsgestaltung in diesen Orten schneller spürbar und bestenfalls direkt mit den Menschen vor Ort verbunden. Im Kern geht es um ein neues regionales Selbstbewusstsein, das Tradition und Hypermoderne miteinander verbindet – und Orte schafft, in denen Menschen wieder Begegnungswesen sein können.

Technologische und soziale Innovation

Neben technologischen Innovationen – die beispielsweise die Arbeit von zu Hause ermöglichen und das Pendeln in die nächste Großstadt verringern – und einer Sehnsucht nach Grün- und Erholungsräumen, wird die rurale Renaissance vor allem durch lebendige Beziehungen zwischen Menschen angetrieben. Ob in Sportvereinen, Kochgruppen, Gartengemeinschaften oder Unternehmer-Clubs: Die kollaborative Empathie wird zu einem entscheidenden Standortvorteil der Progressiven Provinz.

In Deutschland und Europa gibt es bereits eine Vielzahl von Provinzen, die sich selbst neu erfunden und in aufstrebende Regionen gewandelt haben. Häufig kommen dabei starke Impulse aus der Bevölkerung vor Ort, unterstützt durch Partner aus Wirtschaft und Verwaltung. Kreative Konzepte und viel Know-How verwandeln Leerstand und Brachflächen in Lebensmittelläden für lokale Produkte, Kulturorte für generationenübergreifenden Austausch oder auch Mobilitätsangebote, die sich nach den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen vor Ort ausrichten.

Das Netzwerk Zukunftsorte vereint engagierte Menschen und Gruppen vor Ort und richtet sich an Kommunen und Eigentümer:innen, um in ländlichen und strukturschwachen Regionen die Transformation zu Zukunftsorten anzustoßen. Neulandia arbeitet an vielfältigen Gestaltungsräumen auf dem Land und vereint dabei technischen Fortschritt mit sozialen Innovationen – ganz im Sinne der Human Digitality. Die Initiative Happy Locals richtet sich an junge Menschen in ländlichen Regionen und unterstützt diese dabei, kreative Projekte vor Ort zu realisieren und eigene Räume zu gestalten – mit dem Ziel, die Attraktivität des ländlichen Raums zu stärken und junge Menschen dort zu halten. Diese und viele andere Initiativen, Netzwerke und Projekte machen deutlich, welches Zukunftspotenzial vom Land ausgeht.

Merkmale der Progressiven Provinz

  • Engagierte Visionär:innen vor Ort
    Kreative Impulsgeber:innen und Brückenbauer:innen, die mit Leidenschaft eine zukunftsorientierte Kultur gestalten.
  • Authentisches Narrativ mit starker Identität
    Traditionelles Handwerk, kulinarische Spezialitäten oder besondere Naturphänomene können Orten und Regionen unverwechselbare Identitäten verleihen. Gelungenes Storytelling macht diese sozialräumlichen Eigenschaften sichtbar und schafft emotionale Verbindungen.
  • Glokales Selbstbewusstsein
    Eigene Zukunftspfade, die mutig beschritten werden – ohne sich vor neuen Impulsen und Menschen von außen zu verschließen.

Playful Learning

Der Abschied vom traditionellen Leistungsdenken bereitet den Weg für eine neue, spielerische Lernkultur. Ein Auszug aus dem Future:Guide Bildung.

von Stephanie Wössner

6. Februar 2025

In einer hochgradig vernetzten und volatilen Welt gewinnt die Fähigkeit, spielerisch zu denken und zu handeln, radikal an Relevanz. Spielerisches Lernen beschreibt diesen ergebnisoffenen und explorativen Umgang mit digitalen Technologien, Systemen und Wirklichkeiten. Bildung wird dabei zunehmend zu einem interaktiven und sinnstiftenden Prozess, der Resilienz, Kreativität und systemisches Denken stärkt – zentrale Fähigkeiten in einer dynamischen Welt.

Game-based Learning

Dies verdeutlicht auch der Ansatz des Game-based Learning (GBL). Spiele werden dabei als komplexe Interaktions- und Gestaltungsräume genutzt, in denen Lernende Zukunftskompetenzen wie systemisches Denken, Kreativität und soziale Fähigkeiten entwickeln können. Im Unterschied zu Gamification (das Einfügen spieltypischer Elemente in nicht-spielerische Kontexte zur Motivationsförderung) oder Lernspielen (im deutschen Sprachraum häufig zu Unrecht als Serious Games bezeichnet) geht es bei GBL nicht um konkrete Bildungsziele, sondern um die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und die Entwicklung zentraler Zukunftskompetenzen.

Gut gestaltete Spiele wenden dieselben Prinzipien an, die auch generell für erfolgreiches Lernen entscheidend sind, etwa Handlungsfähigkeit, Problemlösen und systemisches Denken. Diese Prinzipien unterstützen Lernende dabei, sich aktiv und eigenverantwortlich mit Lerninhalten auseinanderzusetzen und komplexe Zusammenhänge zu verstehen.

GBL ist besonders wertvoll für zukunftsorientiertes Lernen, da es nicht nur kognitive, sondern auch soziale und kreative Fähigkeiten fördert. Die Möglichkeit, in einem sicheren Raum zu experimentieren und aus Fehlern zu lernen, stärkt die Selbstbestimmung und die Selbstwirksamkeit der Lernenden. Dies führt zu tiefgreifenden und nachhaltigen Lernprozessen: Die Spielewelten selbst werden zu Interaktions- und Gestaltungsräumen, in denen Zukunftskompetenzen entstehen – mit einem hohen Maß an intrinsischer Motivation.

Intrinsische Motivation

Intrinsische Motivation wird oft als der „Heilige Gral“ der Bildung bezeichnet. Sie ist essenziell für erfolgreiche Lernerlebnisse – und kann durch selbstbestimmtes Handeln, sinnvolle Herausforderungen und persönliches Feedback gefördert werden. In vielen etablierten Lernkontexten sind diese Elemente zwar oberflächlich vorhanden, dennoch werden Herausforderungen meist vorgegeben, und Regeln erscheinen oft willkürlich. So ermöglicht das Feedback in Notenform vor allem einen Vergleich mit anderen – und erhält die intrinsische Motivation nur in Ausnahmefällen aufrecht. 

Gut gestaltete Spiele setzen dagegen auf Selbstbestimmung. Sie bieten sinnvolle Regeln, die logisch und nachvollziehbar sind, selbstgewählte Herausforderungen, die den individuellen Fähigkeiten der Spieler:innen entsprechen – und Belohnungen, die einen echten persönlichen Wert haben. Und während man in der Schule für Fehler in der Regel bestraft wird, ermöglichen Spiele das Lernen aus Fehlern, auf Basis selbstgewählter Herausforderungen. All diese Faktoren führen im Spiel zu nachhaltiger Motivation: Sie vermitteln das Gefühl, Kontrolle über den Lernprozess zu haben und echte, sinnvolle Fortschritte zu erzielen.

Insgesamt fördern Spielelemente also ein tieferes Engagement und eine größere Zufriedenheit. Würden Bildungssysteme diese Prinzipien übernehmen und die Selbstbestimmung als Grundvoraussetzung integrieren, könnte das Lernen nicht nur effektiver, sondern auch erfüllender gestaltet werden.

Zukunftsorientiertes Lernen

Über den notwendigen Paradigmenwechsel im Bildungssystem. Ein Auszug aus dem Future:Guide Bildung.

von Stephanie Wössner

6. Februar 2025

Die Welt befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel – gesellschaftlich, technologisch und wirtschaftlich. Die Klimakrise, die digitale Transformation und zunehmende gesellschaftliche Spannungen erfordern auch eine neue Ausrichtung der Bildung und des Lernens in Richtung eines aktiven Beitrags zur gesellschaftlichen Entwicklung.

Dies bedeutet auch einen Umbruch in der Idee des Lernens: weg von der Idee des „zeitgemäßen Lernens“, das oft eine Anpassung an die Gegenwart bewirkt, hin zu einem „zukunftsorientierten Lernen“, das auf eine grundlegende Veränderung der Lernprozesse zielt. Das Konzept geht weit über die reine Vermittlung von Wissen hinaus: Ziel ist es, Lernende zu befähigen, sich in einer komplexen Welt nicht nur zurechtzufinden, sondern sie auch aktiv mitzugestalten.

Lernen im 21. Jahrhundert Schaubild

Learning for Future

Zukunftsorientiertes Lernen stellt die Lernenden in den Mittelpunkt und betrachtet Bildung als lebenslangen, dynamischen Prozess. Es setzt auf personalisierte Lernziele und -wege, die sich an individuelle Bedürfnisse, Interessen und Talente anpassen, und fördert kollaboratives, kreatives und reflektierendes Denken sowie Selbstwirksamkeitserfahrungen und Selbstbestimmung.

Drei Punkte sind dabei zentral:

  • Selbstbestimmtes Lernen: Lernende gestalten ihren Lernprozess aktiv mit und übernehmen Verantwortung für ihr Lernen.
  • Interdisziplinäres Denken: Statt isolierter Fachinhalte werden komplexe, vernetzte Herausforderungen betrachtet.
  • Gesellschaftliches Engagement: Bildung wird als Mittel zur Mitgestaltung der Zukunft verstanden.

Im Kern geht es um eine Transformation der Lernkultur: Zukunftsorientiertes Lernen verabschiedet sich von einem lehrenden Ansatz, bei dem Wissen vorgegeben und reproduziert wird. Lernprozesse sind nicht mehr linear und standardisiert, sondern flexibel und auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten. Lernende übernehmen Verantwortung für ihren eigenen Bildungsweg: Sie setzen eigene Ziele, bestimmen ihre Lernwege und erhalten Unterstützung von Lehrkräften, die sie als Mentor:innen begleiten. 

Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Entwicklung von Zukunftskompetenzen. In einer sich wandelnden Welt wird es zunehmend wichtig, nicht nur analytisch und kritisch zu denken, sondern auch souverän mit Unsicherheit und komplexen gesellschaftlichen Problemen umzugehen. Kreativität, Resilienz, kritisches Denken, Teamarbeit und Verantwortungsbewusstsein sind daher ebenso ausschlaggebende Elemente wie eine neue Kultur im Umgang mit Fehlern.

Ein neuer Umgang mit Digitalität

Eine wichtige Rolle im Kontext des zukunftsorientierten Lernens spielt auch ein neuer Umgang mit digitalen Technologien. Anstatt lediglich bestehende Prozesse zu digitalisieren, verlagert sich der Fokus auf das Konzept der Human Digitality: Digitale Technologien werden hier nicht als Mittel zur Optimierung traditioneller Lernmethoden oder zur Entlastung gestresster Lehrender gesehen, sondern als Werkzeug zur Förderung genuin menschlicher Kompetenzen wie Kreativität, Empathie und kritisches Denken. 

Dies erfordert auch eine bewusste Gestaltung von Lernumgebungen, in denen digitale Tools neue Perspektiven eröffnen und innovative Lösungsansätze ermöglichen. Übergreifendes Ziel ist es, Lernende zu einer konstruktiven Auseinandersetzung mit der digitalen Welt zu ermutigen – und diese aktiv mitzugestalten, anstatt sie nur passiv zu konsumieren.