Kunst, KI und die Rückkehr der Romantik

Generative Künstliche Intelligenz kann heute Formen schaffen, die nicht von menschengemachter Kunst zu unterscheiden sind. Wird die Idee, nur der Mensch könne Kunstwerke schaffen, nun obsolet? Im Gegenteil.

von Christian Schuldt

23. Juli 2024

Kunst, KI und die Rückkehr der Romantik

Dass Künstliche Intelligenz (KI) uns Menschen bereits in vielen Feldern überholt hat, von Sprachverarbeitung bis zu medizinischer Prognostik, ist längst ins kollektive Bewusstsein eingesickert. Doch wie steht es um die algorithmischen Fähigkeiten, etwas zu erschaffen, das seit jeher als genuin menschlich konnotiert ist – nämlich Kunst? Spätestens seit April 2023 scheinen sich auch hier die Grenzen aufzulösen. Damals erhielt der deutsche Künstler Boris Eldagsen den ersten Preis in der kreativen Kategorie der Sony World Photography Awards für ein ätherisches Schwarz-Weiß-Porträt zweier Frauen im Vintage-Stil – und lehnte die Auszeichnung ab mit der Enthüllung, dass das Bild von einer KI erstellt wurde.

Seitdem nimmt die generative KI immer neue Meilensteine in Sachen Kreativität. 2024 präsentierte OpenAI zunächst sein Text-to-Video-Modell Sora (japanisch für „Himmel“): eine Bild- und Film-Schöpfungsmaschine, die als Midjourney, DALL-E und Co. um eine Bewegtbild-Komponente erweitert. Mit GPT-4o (nach „omni“, lateinisch für „alles“) folgte ein multimodales KI-Modell, das Bilder und Videos erkennen und produzieren kann. Die neuen KI-Tools bewirken eine radikale Demokratisierung der kreativen Fähigkeiten. So wie heute jede und jeder mit Hilfe von KI in Sekundenschnelle Aufsätze in Examensqualität produzieren kann, lassen sich im Handumdrehen fotorealistische Bilder und Videos erstellen.

Der Siegeszug der Kreativ-KI wirft grundlegende kulturelle Fragen auf: Verwandelt sich der Computer nun von einer rein rationalen Rechenmaschine zum kunstschaffenden „Wiederverzauberer? Erweist sich nun das, was bislang als größte Schwäche der KI galt – das „Halluzinieren“ im Umgang mit Unsicherheit –, als ihre eigentliche Stärke, im fantasievollen Erschaffen von Texten, Bildern und Filmen? Jedenfalls scheint generative KI einer tief verwurzelten Vorstellung unserer Kultur zu widersprechen: dem Bild vom Künstler als einsamem Genie.

Generative KI nötigt uns zu einer Neubewertung unseres Kunstverständnisses – und unseres menschlichen Selbstbildes.

Der zweite „Tod des Autors“

Kreative KI scheint auf radikale Weise zu bestätigen, was der französische Philosoph Roland Barthes den „Tod des Autors“ nannte: In seinem gleichnamigen Essay forderte er 1967 eine Abkehr von biografischen Interpretationen, da Kunst lediglich ein System von Zeichen sei. Die gesamte Philosophie- und Literaturgeschichte der 1960er- und 1970er-Jahre war geprägt von der Idee der Intertextualität, der zufolge jeder Text lediglich ein Mosaik aus bereits bestehenden Texten ist. Bringt KI nun einen zweiten „Tod des Autors“, indem sie zudem noch mit der traditionellen Idee bricht, dass ein Kunstwerk immer menschengemacht sein müsse?

Gegen diese Deutung spricht zunächst die Macht der Geschichte. Denn die Angst vor der Obsoleszenz menschengemachter Kreativität begleitete auch schon den Wandel vom Theater zum Film, vom Film zum Fernsehen, vom Fernsehen zu YouTube – Medien, die heute ebenso lebendig sind wie die Fotografie, die ihrerseits schon von Photoshop, Digitalkameras, Smartphones, Internet oder eben KI abgelöst werden sollte. Weitet man den Blick, wird ersichtlich, dass und wie das Kunstsystem immer wieder seine Spielregeln an wandelnde soziale, politische und kulturelle Umfelder anpasst.

Allerdings hinterfragt „kreative“ KI nun unser tradiertes Kulturverständnis, das stark am Konzept der Originalität orientiert ist. Als „Kunst“ gilt das, was per se unerwartet und nicht mathematisierbar ist, was tradierte Muster durchbricht – selbst wenn man voraussetzt, dass jede Kulturproduktion immer auch eine Art Ideenrecycling ist.

KI-generierte „Kunst“ drängt uns dazu, die Funktion von Kunst grundsätzlich neu zu reflektieren.

Kunstkommunikation

Aus soziologischer Perspektive bildet Kunst ein eigenes Kommunikationssystem innerhalb der Gesellschaft. In seinem Buch „Die Kunst der Gesellschaft“ beschrieb Niklas Luhmann, wie einzelne Kunstwerke dabei als „Kompaktkommunikationen“ fungieren, die als Mitteilung von Information verstehbar sind: Die Formen eines Kunstwerks verdeutlichen, dass sie mit der „Absicht auf Information“ geschaffen wurden. Kunst provoziert also, indem sie ihr Beobachtetwerden schon einkalkuliert. Deshalb ist ein Großteil neuerer Kunst nur verstehbar, wenn man die Beobachtungsweise erkennt, mit der sie produziert wurde. Das gilt auch (und insbesondere) für objets trouvés wie Joseph Beuys’ Fettecke oder readymades wie Marcel Duchamps Pissoir.

Der Kern der Kunst ist also ihr absichtliches Verstandenwerdenwollen: Kunstwerke erzeugen Irritationen und regen zur Sinnsuche an. Kreativität besteht deshalb immer auch in der Verschiebung eines Rahmens, innerhalb dessen etwas wahrgenommen wird. Diese Dimension ist KI per se verschlossen, weil sie nicht sinnvoll verstehen kann, was sie produziert (oder was der Unterschied zwischen Fakt und Fiktion ist). Da KI Neues immer nur in bereits gegebenen Datenrahmen produzieren kann, bleibt ihr ein Denken outside the box, eine domänensprengende Kreativität, unzugänglich. Kunst braucht dagegen immer den humanen Kontext, um Kunst zu sein: Entscheidend ist die (menschliche) Konzeption, der (maschinelle) Output allein reicht nicht aus. Daher entsteht Kunst immer erst im Dialog, im menschlichen Verstehen mitgeteilter Informationen, das uns erlaubt, Kunst als solche einzuordnen, wertzuschätzen und mit Emotion aufzuladen.

KI kann dabei zwar behilflich sein, als ein Partner im künstlerischen Schaffensprozess, der Anreize gibt und zu neuen Ideen inspiriert. So sagten in einer Befragung unter professionellen Kreativen 86 Prozent, KI wirke sich „positiv auf ihren kreativen Prozess“ aus. Doch so wie KI die individuelle Kreativität fördern kann, verringert sie zugleich die kollektive Kreativität. So zeigen Studien, dass Kunstwerke, die mit Hilfe von KI produziert wurden, insgesamt gleichförmiger sind. Die eigentliche Quelle von Kreativität, Vielfalt und Originalität ist und bleibt also der Mensch – und gerade die „kreative“ KI verhilft alten romantischen Kulturbildern zu neuer Blüte.

Die Wiedergeburt des Autors

Je mehr „KI-Kunst“ im Überfluss vorhanden ist und je deutlicher wird, dass dabei lediglich Variationen aus einem immer gleichen Pool erzeugt werden, umso wertvoller wird die einzigartige, hirn- und handgemachte Aus- und Aufführung menschlicher Kreativität. So wie „große Sprachmodelle“ à la ChatGPT die menschliche Superkraft der Begegnung stärken, fördert generative KI damit auch ein Wiederaufleben grundromantischer Kunst-Topoi. Von Aura und Emphase bis zur Idee des kreativen Genies, das bestehende Formen durchbricht und neue Paradigmen schafft:

Alles, was KI aufgrund ihrer kognitiven Limitierung nicht leisten kann, wird mit neuer Bedeutung aufgeladen. Damit sorgt KI gerade nicht für einen weiteren „Tod des Autors“ – sondern vielmehr für seine Wiederauferstehung.

Diese (Rück-)Besinnung auf das, was einzigartig und wahrhaft menschlich ist, auf den kreativen Sprung aus dem Nichts und auf das, was uns schön, moralisch, lustig, wertvoll erscheint, beinhaltet ein großes Potenzial der Rehumanisierung – und damit sogar die Chance für ein besseres menschliches Miteinander. Die eigentliche Zukunftsfrage lautet deshalb nicht: Kann KI Kunst? Sondern eher: Können wir Menschen KI? Sind wir in der Lage, KI konstruktiv zu nutzen, als Erweiterung unserer kreativen und sozialen Fähigkeiten? Nicht nur zu unserem jeweils individuellen Wohl, sondern im Dienste einer erstrebenswerten Zukunft, die allen zugutekommt? Erst mit diesem Mindset der Human Digitality wird uns der Übergang in eine lebenswerte nächste Gesellschaft gelingen.

Wirksamkeit

Zukunft gestalten

Wirksamkeit ist eines der sieben Schlüsselelemente im Wheel of Transformation, das die grundlegenden Faktoren von Transformationsprozessen sichtbar und zugänglich macht. Die einzelnen Elemente bilden dabei keine klar voneinander getrennten Segmente oder isolierte Phasen, sondern treten typischerweise parallel und nichtlinear auf. Wie die Arbeit mit den Transformationselementen praktisch funktioniert, beschreibt die Publikation „Future:Transformation“.

Wirksamkeit

Das Element der Wirksamkeit lenkt die Energie auf das Konstruktive – weg vom Zweifeln, hin zum Gestalten. Zentral ist dabei der Prozess des Selbstausdrucks und der Impression, bei dem Individuen oder Organisationen ihre Identität zum Ausdruck bringen und ihre Visionen und Werte in die Welt tragen. Die Statuierung neuer Normen und Paradigmen lebt  stark vom Austausch mit Gleichgesinnten. Durch die konsequente Ausrichtung auf Wirksamkeit können Veränderungen dann auch langfristige Effekte erzielen. 

Erfahrung: Resonanz

Zentral für die Erfahrung von Wirksamkeit ist eine tiefe Verbindung von Innen und Außen im Erleben des eigenen Gestaltungspotenzials. Häufig geht diese Resonanzerfahrung einher mit einem authentischen Kontakt zwischen Individuen oder Gruppen, die in Transformationsprozessen wirksam gestalterisch beteiligt sind. Eng verbunden damit sind Gefühle der Zugehörigkeit und der Konvivialität. Dies kann auch eine kollektive Motivation schaffen, bereits erprobte und als wirksam-transformativ erfahrene Zugänge oder Methoden zu kommunizieren und kontinuierlich zu teilen.

Kompetenz: Gestaltungskraft

Entscheidend für die wirksame Zukunftsgestaltung ist die Fähigkeit zur Kollaboration und Koalition mit anderen Akteur:innen – inklusive der Bereitschaft, Ideen von außen aufzunehmen und zu integrieren. Dabei ist es wichtig, Verantwortung zu übernehmen und eine integre Haltung bezüglich der eigenen Überzeugungen und Werte zu bewahren. Auch die Fähigkeit, sich selbst immer wieder zu zeigen und auszudrücken, spielt eine zentrale Rolle: So können die Wirksamkeitserfahrungen, die aus dem eigenen Gestaltungsdrang entstanden sind, geteilt und multipliziert werden. 

Potenzial: Gestaltung lebenswerter Zukünfte

Das Element der Wirksamkeit kann andere zu nachhaltigen Veränderungen in Richtung lebenswerter Zukünfte anstoßen. Dafür gilt es, unterstützende und inspirierende Impulse zu setzen sowie kollaborative Kräfte, Co-Kreationen und partizipative Verbindungen zu stärken, die gelingende transformative Erfahrungen bündeln und verbreiten. Gerade eine Pluralität konstruktiver Transformationspfade kann den Weg in ein verändertes Morgen weisen. Denn lebenswerte Zukünfte entstehen immer nur im Miteinander.

Exploration

Das Entdecken von Handlungsspielräumen

Exploration ist eines der sieben Schlüsselelemente im Wheel of Transformation, das die grundlegenden Faktoren von Transformationsprozessen sichtbar und zugänglich macht. Die einzelnen Elemente bilden dabei keine klar voneinander getrennten Segmente oder isolierte Phasen, sondern treten typischerweise parallel und nichtlinear auf. Wie die Arbeit mit den Transformationselementen praktisch funktioniert, beschreibt die Publikation „Future:Transformation“.

Exploration

Das Element der Exploration steht für den Aufbruch ins Ungewisse, für die Öffnung von Handlungsspielräumen, in denen Neues ausprobiert werden kann. Im explorativen Entdecken und Handeln erfahren Menschen und Organisationen sich selbst wieder als Akteur:innen. Insbesondere im gemeinsamen Agieren kann ein Zugehörigkeitsgefühl erlebt werden, das in Phasen des Wandels verbindet. Das Experimentieren mit möglichen Handlungspfaden und -strategien kann auch eine Refokussierung der eigenen Ziele und Vorstellungen erfordern.

Erfahrung: Selbstwirksamkeit

Im Explorieren entstehen Lebendigkeit, Bewegung und vor allem die Erfahrung der Selbstwirksamkeit. Anstatt eine Veränderung nur passiv zu erdulden oder sich reaktiv an sie anzupassen, wird in neuen Möglichkeitsräumen agiert. Dies stärkt das Selbstvertrauen – und damit auch die Fähigkeit, mit bisher unbekannten Situationen umgehen zu können. Wichtig ist dabei die Bestimmung des eigenen Standpunktes, der eigenen Werte und Ziele: Erfolgreiches Explorieren erfordert eine gefestigte Identität – und eine Offenheit für Umwege. 

Kompetenz: Mut zum Experimentieren

Die Voraussetzung für einen neuen mentalen Zugang zu Veränderung ist der Mut zum Experimentieren: die Fähigkeit, Wandel proaktiv zu gestalten, anstatt nur passiv auf ihn zu reagieren. Dies erfordert sowohl Beweglichkeit und mentale Flexibilität als auch eine gewisse Festigkeit in der eigenen Identität und Haltung. Spiel und Neugier können dabei strukturell implementiert und gefördert werden. Zentral ist zudem eine hohe Frustrations- und Fehlertoleranz – hier spielt die Organisationskultur eine entscheidende Rolle. 

Potenzial: Handlungsfähigkeit

Das Erkunden neuer Möglichkeitsräume schafft die Voraussetzung, um die eigene Idee einer lebenswerten Zukunft in die Gestaltung zu bringen. Exploration braucht dabei stets eine Orientierung am eigenen Kern: Erst die Klarheit für den eigenen Standpunkt ermöglicht das Navigieren in unbekannten Gewässern. Gestaltung wird damit zu einer bewussten Entscheidung, zum aktiven Umgang und zur Lösungssuche innerhalb von Transformationsprozessen. Zugleich ergibt sich dabei die Chance, der Zeit voraus zu sein und neue Wege als Pionier:in zu erkunden.

Imagination

Die Erweiterung des Vorstellungsraums

Imagination ist eines der sieben Schlüsselelemente im Wheel of Transformation, das die grundlegenden Faktoren von Transformationsprozessen sichtbar und zugänglich macht. Die einzelnen Elemente bilden dabei keine klar voneinander getrennten Segmente oder isolierte Phasen, sondern treten typischerweise parallel und nichtlinear auf. Wie die Arbeit mit den Transformationselementen praktisch funktioniert, beschreibt die Publikation „Future:Transformation“.

Imagination

Das Element der Imagination motiviert zum mentalen Erkunden, zu Suchbewegungen für mögliche Lösungen und Zukunftsbilder. Es befähigt zur De- und Neukonstruktion von „Wirklichkeit“: Das, was zuvor als unmöglich galt, erscheint plötzlich möglich. Fluchtinstinkten wird so eine neue Vorstellung von Zukunft entgegengesetzt, die berührt und im Idealfall befreiend wirkt. Die Transformationskraft der Imagination entfaltet sich vor allem im Prozess der Co-Kreation: Das inter- und transdisziplinäre Zusammenspiel erweitert den Vorstellungsraum durch eine neue Perspektivenvielfalt.

Erfahrung: Neugier

Typischerweise ist die Imagination erkennbar an Emotionen wie Begeisterung und Entdeckungsfreude, an der spielerischen Lust am Ausprobieren. Am Neugierigsein. Da die Imagination immer auch eine indirekte Projektion von Sehnsüchten und Wünschen beinhaltet, kann sie gelegentlich aber auch zu einer gewissen Desillusionierung oder Entzauberung führen: Die imaginierten Wirklichkeiten können dann als utopisch empfunden werden, als allzu weit entfernt von realisierbaren Möglichkeiten.

Kompetenz: Vorstellungskraft

Je ausgeprägter die Vorstellungskraft ist, umso mehr sind Menschen – und damit auch Organisationen – in der Lage, neue Alternativen zu erkennen, Möglichkeitsräume zu erweitern, Visionen und auch Utopien zu entwickeln. Die Vorstellungskraft schafft einen Zugang zum „Beyond“: zum Blick auf das, was jenseits des bereits Gegebenen und Bekannten möglich ist.

Potenzial: Entfaltung

Wird Neugier bewusst wahrgenommen und zur Gestaltung möglicher Zukünfte genutzt, wachsen Mut und Selbstvertrauen. Dann rücken auch solche Veränderungen und Zukünfte ins Wahrnehmungsfeld, die zuvor unmöglich erschienen oder noch gar nicht bewusst waren. So eröffnen sich Möglichkeiten der persönlichen und organisationalen Weiterentwicklung. Der offene Blick für Neues lässt das Potenzial für Entfaltung und Wandel wachsen. 

Revision

Die kritische Überprüfung des Selbst

Revision ist eines der sieben Schlüsselelemente im Wheel of Transformation, das die grundlegenden Faktoren von Transformationsprozessen sichtbar und zugänglich macht. Die einzelnen Elemente bilden dabei keine klar voneinander getrennten Segmente oder isolierte Phasen, sondern treten typischerweise parallel und nichtlinear auf. Wie die Arbeit mit den Transformationselementen praktisch funktioniert, beschreibt die Publikation „Future:Transformation“.

Revision

Das Element der Revision ermöglicht eine Bewertung: Was soll bleiben, was muss losgelassen werden? Dieser Prozess ist sowohl für persönliches Wachstum als auch für organisationalen Fortschritt unerlässlich: als zentraler Hebel, um immer wieder in die Selbstreflexion zu gehen und erstarrte Selbstbilder zu verabschieden. Dann bildet die Revision die Basis, um neue Erfahrungen und Erkenntnisse einzubeziehen und aktuelle Wandlungsdynamiken aufzugreifen.

Erfahrung: Selbstreflexion

Das Transformationselement der Revision wird meist als Innenschau und Selbstprüfung erfahren. Häufig manifestiert es sich im Hinterfragen und Überprüfen der eigenen Annahmen und Glaubenssätze. Im ersten Moment kann dies als Selbstkränkung erlebt werden. Es kann auch den Eintritt in eine Trauer- und Abschiedsphase bedeuten. Immer aber fördert das Hinterfragen etablierter Ansichten auch eine neue Hinwendung zur Umwelt, eine Öffnung für externe Impulse und neuartige Perspektiven.

Kompetenz: Repositionierung

Mit dem Annehmen von Unveränderlichem und dem Erkennen des Gestaltbaren birgt das Element der Revision eine enorme transformative Kraft. Um diese Kraft zu aktivieren, ist es notwendig, unveränderbare und veränderbare Anteile des Selbst unterscheiden und eine eigene Haltung im Transformationsprozess für sich definieren zu können. Diese Repositionierung stärkt das Selbstvertrauen, schafft Klarheit über die eigene Rolle und bietet Orientierung in den Höhen und Tiefen von Veränderungsprozessen.

Potenzial: Selbststärkung

Die intensive Selbstinspektion kann eine produktive Selbstresonanz schaffen und das Verständnis für interne Abläufe, Motivationen, Anforderungen und Ziele fördern. Als wiederkehrendes Element in Transformationsprozessen lenkt die Revision die Aufmerksamkeit immer wieder auf das Überprüfen der eigenen Grundmuster. Dies kann eine nachhaltige Stärkung des Selbst bewirken – und die aktive Gestaltung von Veränderung unterstützen. 

Retardierung

Die konstruktive Kraft des Widerstands

Retardierung

Das Element der Retardierung beschreibt die inneren Widerstände, die als typische Reaktion in der Konfrontation mit Veränderungen und neuen Herausforderungen ausgelöst werden. Diese Gegenhaltung kann jedoch auch eine ganzheitliche Perspektive auf das Veränderungsgeschehen fördern und helfen, die stabilen, robusten und funktionierenden Anteile eines Systems wahrzunehmen. So kann der Übergang von der initialen, impulsiven Reaktion zur kognitiven Auseinandersetzung auch neue Einsichten und Wege eröffnen.

Erfahrung: Widerstand

Die Folge der Retardierung ist meist ein konkreter Widerstand, eine Verzögerung der Prozesse – bis hin zur Sabotage. Als Schutzfunktion erfüllt diese retardierende Angst- und Abwehrreaktion aber auch eine konstruktive Funktion: Sie macht auf konkrete Risiken aufmerksam – und verweist damit auch auf das, was im Wandel bewahrenswert ist. So kann die bewusste Verzögerung von Entscheidungen oder Handlungen einen Raum für Reflexion öffnen. Im Idealfall entwickelt sich dann eine Vorfreude auf das Neue. 

Kompetenz: Konstruktive Distanzierung

Widerstand kann erst mit hinreichendem Abstand produktiv genutzt werden – erst dann kann er die Möglichkeit zur bewussten Abgrenzung von der turbulenten Dynamik des Wandels bewirken. Die Fähigkeit zur konstruktiven Distanzierung befähigt dazu, Veränderungen klarer wahrzunehmen und realistischer einzuschätzen. Dies betrifft nicht zuletzt die Frage, welche Teile des Selbst bewahrt oder verabschiedet werden sollen.

Potenzial: Reflexion

Die Retardierung bildet ein Gegengewicht zur Beschleunigung, die insbesondere disruptive Veränderungsprozesse kennzeichnet. Das Innehalten verhindert ein Abgleiten in völlige Hilflosigkeit und Kontrollverlust – und ermöglicht die Wahrnehmung der eigenen Grenzen und Möglichkeiten. Es entsteht eine punktuelle Distanz zum Geschehen, eine innere Entkopplung vom Transformationszwang. Ein Raum für Reflexion. 

Desorientierung

Die Akzeptanz von Ambivalenz

Desorientierung ist eines der sieben Schlüsselelemente im Wheel of Transformation, das die grundlegenden Faktoren von Transformationsprozessen sichtbar und zugänglich macht. Die einzelnen Elemente bilden dabei keine klar voneinander getrennten Segmente oder isolierte Phasen, sondern treten typischerweise parallel und nichtlinear auf. Wie die Arbeit mit den Transformationselementen praktisch funktioniert, beschreibt die Publikation „Future:Transformation“.

Desorientierung

Desorientierung bedeutet zunächst eine Belastung: Rahmenbedingungen brechen auseinander, alte Ankerpunkte verschwinden, Verunsicherung dominiert. Dabei entsteht oft ein innerer Spannungszustand zwischen Unsicherheit und dem Impuls, die Herausforderung zu meistern. Diese Ambivalenz kann der erste Schritt in Richtung einer aktiven, zukunftsgewandten Handlung sein, losgelöst von festgefahrenen Strukturen. Unsicherheit und Widersprüchlichkeit können den Weg in einen kreativen transformativen Prozess ebnen.

Erfahrung: Verunsicherung

Desorientierung kann von Verwirrung, Frustration und auch Verzweiflung begleitet sein. Entfernt sich der eigene Fokus dabei von der Zielorientierung und Situationsbewältigung, gilt es vor allem, wieder Boden unter den Füßen zu erhalten, etwa durch die bewusste Reflexion der eigenen Fähigkeiten und das Experimentieren mit neuen Zukunftsbildern. Je besser es gelingt, der aktuellen Verunsicherung mit einer gewissen Gelassenheit zu begegnen, desto eher kehrt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zurück.

Kompetenz: Unsicherheitskompetenz

Der Umgang mit Desorientierung erfordert die Fähigkeit der Unsicherheitskompetenz. Sie basiert im Kern auf zwei Grundbestandteilen, die beide elementar mit dem Thema Akzeptanz verbunden sind: Frustrations- und Ambivalenztoleranz. Es geht darum, auch in unsicheren Situationen handlungsfähig zu bleiben und zu subjektiver Sicherheit zurückzufinden. 

Potenzial: Freiheitsgewinn

Die große Chance der Desorientierung ist der Zugang zu neuen Perspektiven. Das Ablegen von Gewissheiten und Gewohnheiten schafft eine neue Freiheit. Zugleich bereitet die Verunsicherung den Weg für die gezielte (Rück-)Besinnung auf die eigenen Werte und die (Wieder-)Entdeckung des inneren Kompasses. Die Akzeptanz von Unsicherheit kann die eigene Handlungsmacht wieder bewusst machen. Sie lässt Hoffnung entstehen. 

Ent-Täuschung

Das Auseinanderfallen von Ist und Soll

Ent-Täuschung ist eines der sieben Schlüsselelemente im Wheel of Transformation, das die grundlegenden Faktoren von Transformationsprozessen sichtbar und zugänglich macht. Die einzelnen Elemente bilden dabei keine klar voneinander getrennten Segmente oder isolierte Phasen, sondern treten typischerweise parallel und nichtlinear auf. Wie die Arbeit mit den Transformationselementen praktisch funktioniert, beschreibt die Publikation „Future:Transformation“.

Ent-Täuschung

Im Element der Ent-Täuschung offenbaren sich Diskrepanzen zwischen den inneren (Zukunfts-)Erwartungen und den beobachtbaren Phänomenen unserer Umwelt (oder den Erwartungen an uns selbst). Das Ist passt nicht länger zum Soll, die subjektive Erwartung deckt sich nicht mehr mit der objektiven Realität. Ent-Täuschungen sind oft schmerzhaft, sie eröffnen aber auch die Chance, blinde Flecken zu erkennen – und längst notwendige Veränderungen einzuleiten.

Erfahrung: Kontrollverlust

Die Ent-Täuschung tritt oft in Form eines Realitätsschocks auf, begleitet von Gefühlen wie Schmerz oder Scham angesichts der Erkenntnis, einer Illusion aufgesessen zu sein. In dieser Situation müssen sich Individuen, Organisationen und auch ganze Gesellschaften eingestehen, dass bisherige Annahmen nicht mehr gültig sind. Zugleich steckt im Kontrollverlust aber auch das Potenzial, einen wesentlichen Impuls für Entwicklung zu schaffen.

Kompetenz: Impulsoffenheit

Um die neuen Perspektiven und Impulse, die ein Kontrollverlust freisetzt, produktiv annehmen und nutzen zu können, braucht es die Fähigkeit der Impulsoffenheit. Auf organisationaler Ebene fördert Impulsoffenheit Kreativität und Neugierde sowie den Austausch über Emotionen. Systeme, die offen und empfänglich für Impulse sind, erkennen auch, dass sie nonkonformistisch sein können. 

Potenzial: Refokussierung

Die Ent-Täuschung bildet nicht selten den Ausgangspunkt von Transformationen. Sie kann aber auch im weiteren Verlauf von Transformationsprozessen immer wieder auftreten, etwa wenn Geplantes nicht so funktioniert wie erhofft oder wenn erwartete Veränderungen und Erfolge nicht oder nicht schnell genug eintreten. Das Potenzial und damit die Relevanz dieses Prozesselements besteht in der Refokussierung und in der Willensbildung zu einer Veränderung.

Wie gelingt Transformation im 21. Jahrhundert?

Transformation ist das Thema unserer Zeit – und zugleich so voraussetzungsreich wie nie zuvor. Wie kann systemischer Wandel in der nächsten Gesellschaft gelingen? Ein gekürzter Auszug aus der Publikation „Future:Transformation“.

Von Christian Schuldt

27. Juni 2024

Wie gelingt Transformation im 21. Jahrhundert?

Das Zeitalter der Transformation

Im 21. Jahrhundert befindet sich die Weltgesellschaft im größten Umbruch seit der Industrialisierung. Der Übergang in die „nächste“, vernetzte Gesellschaft, sowie die große Transformation von der fossilen zur postfossilen Gesellschaft sind in Ausmaß und Intensität vergleichbar mit den beiden früheren fundamentalen Transformationsprozessen der Menschheitsgeschichte: der Neolithischen Revolution, die Ackerbau und Viehzucht weltweit verbreitete, und der Industriellen Revolution, die den Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft markierte.

Allerdings ist der Epochenwandel unserer Zeit auch ein historisches Novum. Resultierten die vorigen Umbrüche jeweils aus einem allmählichen evolutionären Wandel, angetrieben durch neue technologische und ökonomische Möglichkeiten, herrscht heute ein akuter Veränderungsdruck. Die Vielzahl globaler systemischer Krisenphänomene, allen voran die Klimakrise, führt in eine „Omnikrise. Sie macht klar, dass wir die Aufgabe haben, einen fundamentalen Systemwandel zu gestalten. Deshalb ist Transformation das Thema unserer Zeit. 

Zugleich sind die Startbedingungen für das Angehen dieser systemrelevanten Veränderungen heute komplexer als je zuvor. Denn die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts steht geradezu sinnbildlich für Unplanbarkeit: Die alten Vorstellungen von Eindeutigkeit und Steuerbarkeit, die noch bis ins späte 20. Jahrhundert galten, werden unter vernetzten Vorzeichen obsolet. Langfristig stabile oder verlässlich berechenbare Strukturen lösen sich auf. Die Netzwerkgesellschaft ist im Kern volatil und unsicher.

Die zentralen Zukunftsfragen lauten daher: Wie ist Transformation unter hochgradig komplexen und vernetzten Bedingungen überhaupt möglich? Und wie können wir (wieder) zu aktiven Gestalter:innen der Zukunft werden, anstatt Veränderung passiv zu erdulden oder uns reaktiv an den Wandel anzupassen?

Die Kraft der Imagination

Auch – oder sogar: gerade – unter digitalisierten Vorzeichen gilt: Transformation lebt im Kern von der Aktivierung menschlicher Vorstellungskraft. Das zentrale Tool für Transformation sind deshalb nicht Daten – denn sie können stets nur aussagen, was in Bezug auf bestimmte Parameter passieren wird. Dieses lineare Denken hilft nicht weiter, wenn es darum geht, neue Perspektiven zu eröffnen auf das, was Menschen bewirken können. Erst die Kraft der Imagination lässt Wandel zur Befreiung werden. Entscheidend für den Willen zur Veränderung, für die Lust auf Transformation, ist der Glaube an die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten. Und die praktische Erfahrung von Veränderung – nicht als passives Adaptieren, sondern als aktives Kreieren.

Transformation geschieht deshalb immer menschengeleitet, in Form einer erhöhten Selbstwirksamkeit und Handlungsfähigkeit. Und: nie zentral gesteuert und top-down, sondern „verstreut“. Um transformative Kräfte zu entfalten, braucht es deshalb vor allem wirksame Motive und Anregungen zum Verlassen des Status quo. Die Transformabilität (transform ability) eines Systems wird also nicht von effizient gestalteten Strukturen und Technologien bestimmt. Sondern: von richtungsweisenden Begründungen, mit denen Menschen Technologien und Institutionen kreieren, erzählen, verbreiten.

Lernende Systeme

Insgesamt erfordert die Komplexität heutiger Krisen nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in unserem Transformationsverständnis: weg von einem Denken in linearen Phasen, das im Kern noch immer der alten „Change“-Idee verhaftet ist, hin zu einem komplexeren, evolutionären Zugang, der Transformation als fortwährendes Erschaffen und Etablieren systemrelevanter Elemente und Zusammenhänge begreift. 

Eine Theorie der Transformation kann nur dann zukunftsweisend sein, wenn sie Veränderung als nichtlinearen Verlauf versteht, in dem der Auf- und Ausbau des Neuen stets parallel zum Bewahren und Verabschieden des Alten entwickelt wird. Wandel ist also immer ein Lernprozess, der auch das Ver-lernen beinhaltet: das Verabschieden von Denk- und Handlungsweisen, die sich nicht (mehr) bewähren. In diesem Sinne ist transformatives Lernen immer Erfahrungslernen. Es folgt keinem vermeintlich perfekten Plan, sondern oszilliert permanent zwischen Noch-nicht-ganz-Verstehen, Etwas-besser-Verstehen und Weiter-Probieren. 

Die Grundlage für dieses dynamisch-nichtlineare Verständnis von Veränderung ist ein Transformation Mindset, das Wandel als Konstante betrachtet – und immer auch als Chance. Diese Perspektive prägt auch das Transformationsmodell des Future:Project, das Wheel of Transformation.

Konstruktive Zukünfte aktiv mitgestalten

Welchen Beitrag leistet die transformative Zukunftsforschung zum Gelingen systemischer Wandlungsprozesse? Ein gekürzter Auszug aus der Publikation „Future:Transformation“.

Konstruktive Zukünfte aktiv mitgestalten

„Die Aufgabe besteht nicht so sehr darin, die Zukunft besser zu definieren, sondern vielmehr darin, die Zukunft auf einer gewissen Ebene zu ‚entdefinieren‘, sie zu hinterfragen.“

– Sohail Inayatullah, Zukunftsforscher

Beyond Megatrends

Je mehr die globalen Umbrüche im Übergang zur nächsten Gesellschaft neue Konflikte, Komplexitäten und Verunsicherungen erzeugen, umso mehr verlieren auch die klassischen Formen der Zukunftsforschung an Aussagekraft und Praxisrelevanz. Das betrifft sowohl die „Voraussage“ der traditionellen Prognostik als auch die Analyse sehr langfristiger Trendbewegungen durch die Megatrend-Forschung. Immer wichtiger wird dagegen ein Verständnis der großen Transformationen unserer Zeit. Und: die aktive Mitgestaltung konstruktiver Zukünfte durch die Imaginierung und Öffnung neuer Möglichkeitsräume.


Transformative Zukunftsforschung füllt diese Lücke auf dreierlei Weise. Zum einen, indem sie vorhandene Zukunftsnarrative kritisch reflektiert und dekonstruiert: Welche Wünsche, Hoffnungen, Erwartungen, Annahmen über die Zukunft prägen das Hier und Jetzt – wer profitiert davon (und wer nicht)? Zum anderen, indem sie auf Basis gegenwärtiger Wandlungsdynamiken alternative Zukunftsbilder erstrebenswerter Zukünfte schafft: konstruktive Szenarien, die den Raum möglicher Zukünfte bewusst machen und erweitern. Und schließlich, indem sie den Fokus konsequent auf die praktische Umsetzung legt: Transformative Zukunftsforschung zielt auf Wirksamkeit.

Mit dem Fokus auf das Ermöglichen und Vorantreiben von Veränderung geht transformative Zukunftsforschung weit über traditionelle Ansätze der Zukunftsforschung hinaus, die sich auf das Abbilden von Trends oder Megatrends beschränken. Ziel ist es vielmehr, die Debatte über Zukunft neu zu gestalten, weg von sicherheitsorientierter Bewahrung, hin zu möglichkeitsoffener Erneuerung. Und: Menschen und Organisationen dazu zu inspirieren, für eine bessere Zukunft zu handeln. Nicht im Sinne eines Tunnelblicks auf „die eine“ gewünschte Zukunft, sondern durch das Aufzeigen vielfältiger neuer Wege in mögliche Zukünfte, die immer nur gemeinsam gestaltet werden können.

Zukunft entsteht nicht von selbst. Sie wird gemeinsam geschaffen, durch unsere alltäglichen Entscheidungen und Handlungen. Transformative Zukunftsforschung liefert dabei klare Orientierungspunkte für Menschen und Organisationen, um langfristig zu denken und zu handeln. Die Leitfragen lauten: 

  • Wo sollen sich die Dinge verändern, und wie können wir etwas bewirken? 
  • Woran müssen wir uns anpassen, und was müssen wir ändern? 
  • Wie können wir schon heute ein Leben führen, das auch in Zukunft lebenswert ist? 

Gleichzeitig legt diese klare Positionierung einen blinden Fleck der Wissenschaft offen: Jede Form von Forschung bezieht immer Stellung, schon durch Auswahl und Formulierung von Themen. Das gilt auch für die Zukunftsforschung. Es gibt keine „objektiven“ Trendberichte. Transformative Zukunftsforschung versucht diesen Umstand nicht zu verdecken, sondern geht offen mit getroffenen Entscheidungen und Perspektiven um.

Die Kraft der Imagination

Herkömmliche Zukunftsforschung fokussiert vor allem auf das, was schon da ist und auf das wir reagieren „müssen“. Häufig werden für die Erstellung dieser linearen Zukunftsszenarien auch bereits vorhandene Daten und Variablen verwendet, die in die Zukunft extrapoliert werden. Transformative Zukunftsforschung setzt dagegen bewusst auf die Kraft der Kreativität, um neue Möglichkeiten zu imaginieren und Alternativen auszuloten – ausgehend von der Grundannahme, dass erst die Vorstellung integrativer Alternativen eine bessere Vorbereitung auf die Zukunft ermöglicht. 

Dies beschreibt auch der Begriff des „Futuring“. Erst die Beschäftigung mit Zukünften, die nicht nur wahrscheinlich, sondern auch im erweiterten Denkrahmen für möglich, unmöglich oder auch noch völlig undenkbar gehalten werden, zeigt Richtungen und Kriterien des Wandels auf – und mobilisiert dann auch für eine Erkundung und Annäherung an wünschenswerte Zukünfte. So öffnet transformative Zukunftsforschung den Weg für die Imaginierung und Formulierung erstrebenswerter Zukünfte – und für die Vermittlung von handlungsorientiertem Wissen über den Wandel hin zu einer gerechten, nachhaltigen und inspirierenden Zukunft.

Trends for Transformation

Transformative Zukunftsforschung vollzieht dabei einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Trends. Die zentrale Frage lautet nicht (mehr): An welche Trends müssen wir uns anpassen? Sondern: Wie lassen sich bestimmte Trends nutzen, was lässt sich mit ihnen bewirken, um gewünschte Zukünfte konkret anzugehen? Dies verdeutlicht sowohl der Leitsatz des Future:Project – „beyond trends“ – als auch die transformative Trendsystematik Future:System: Es geht darum, Trendwissen nicht um seiner selbst willen zu nutzen, sondern im Kontext transformativer Wandlungsdynamiken, die zu konstruktiven Zukünften führen.

Die Voraussetzung dafür ist ein gemeinsames Verständnis der gegenwärtigen Wandlungsdynamiken: Was hat sich bereits verändert, was verändert sich gerade jetzt? Wie sind diese Veränderungen miteinander verknüpft? Was verhindert den Wandel, was ermöglicht ihn, was treibt ihn voran? So wie das Future:System hilft auch das Wheel of Transformation, das zukunftsorientierte Denken und Handeln von Menschen und Organisationen zu stärken. Dieses Anliegen steht im Zentrum der transformativen Zukunftsforschung: Es geht darum, den Kreis der Zukunftsgestaltenden zu erweitern – um dazu einzuladen, aktiv teilzuhaben an der Umsetzung lebenswerter Zukünfte.