Wie verändert die Digitalisierung unser Verständnis von Bildung und Lernen? Wegweisend ist der Ansatz der Human Digitality. Ein Auszug aus dem Future:Guide Bildung.
6. Februar 2025
Im Bildungsbereich wird die Diskussion über „Digitalisierung“ oft auf technologische Innovationen reduziert, etwa in Form von digitalen Tafeln, Lernplattformen oder KI-gestützten Analyseverfahren. Um das Bildungssystem für das 21. Jahrhundert aufzustellen, greift dieser Ansatz aber zu kurz – das bloße Übertragen von analogen Lehrmethoden in digitale Formate reicht nicht aus. Wir brauchen stattdessen ein tieferes und umfassenderes Verständnis dessen, was Digitalität bedeutet und welche Rolle sie für eine zukunftsorientierte Bildung spielt.
„Digitalisierung“ bezeichnet im Bildungskontext zunächst nur die Umwandlung analoger Inhalte in digitale Formate und die Optimierung von Lehr- und Lernprozessen durch Technologie. Online-Kurse, digitale Whiteboards und automatisierte Lernsysteme sind heute oft selbstverständlich. Schulen und Universitäten haben in den vergangenen Jahren versucht, den Unterricht mithilfe digitaler Werkzeuge effizienter und interaktiver zu gestalten – meist jedoch ohne größere Erfolge.
Denn Digitalisierung allein ändert nichts an der Grundstruktur des Lernens, sondern bleibt oft ein Add-on zum bestehenden Bildungssystem, das weiterhin dem alten Paradigma der Industrialisierung verhaftet ist. Standardisierte Tests, lehrerzentrierter Frontalunterricht und festgelegte Lehrpläne dominieren noch immer. Diese Strukturen werden durch die bloße Verwendung digitaler Technologien nicht infrage gestellt.
Hier setzt der Begriff „Digitalität“ an, der zumindest betont, dass Menschen aktiv in digitalen Kulturen handeln. Dennoch ist die Haltung auch hier passiv: Der Mensch reagiert auf digitale Veränderungen, verarbeitet Informationen neu und agiert innerhalb algorithmischer Systeme. Wirklich zukunftsweisend ist ein Verständnis von Digitalität, das Menschen befähigt, nicht nur in digitalen Umgebungen zu navigieren, sondern aktiv neue Strukturen und Zukünfte zu gestalten.
Eine solche ganzheitliche Perspektive, die den Menschen als gestaltendes Wesen in den Mittelpunkt stellt, eröffnet das Konzept der Human Digitality – eine der sechs großen Transformationsdynamiken unserer Zeit, die das Future:Project in seinem Future:System beschreibt. Eine „menschliche Digitalität“ umfasst sehr viel mehr als nur technologische Anpassungen: Sie beschreibt eine tiefgreifende kulturelle und gesellschaftliche Veränderung – die auch ein grundlegendes Umdenken in Bildungsprozessen erfordert.
Im Zeitalter der Human Digitality muss Bildung darauf abzielen, dass Lernende digitale Werkzeuge nicht nur nutzen, sondern verstehen, gestalten und kritisch hinterfragen können. Der Fokus liegt also auf den individuellen und gemeinschaftlichen Fähigkeiten, mit digitalen Medien nicht nur zu interagieren, sondern sie kreativ und verantwortungsbewusst mit Blick auf eine lebenswerte Zukunft zu nutzen.
Daraus ergeben sich neue Anforderungen an Bildungssysteme:
Verantwortungsvolle Mediennutzung statt reiner Technikanwendung: Medienkompetenz bedeutet mehr als das Erlernen technischer Fertigkeiten. Sie umfasst ethische, soziale und kulturelle Aspekte digitaler Interaktion mit dem klaren Ziel einer lebenswerten Zukunft.
Im Zeitalter der Human Digitality kann Bildung nicht länger als reine Wissensvermittlung verstanden werden, sondern als ein Raum, in dem Menschen lernen, ihre eigene und die gemeinsame Zukunft aktiv zu gestalten. Dies erfordert einen systemischen Wandel, der weit über technologische Innovationen hinausgeht. Insbesondere Schulen und Hochschulen müssen sich von der Vorstellung verabschieden, dass Lernen der Anpassung an bestehende Strukturen dient. Stattdessen werden Bildungsstätten zu Orten, an denen Lernende ihre Potenziale entfalten, eigene Ideen entwickeln und gemeinsam Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft finden.
Die Frage lautet also nicht mehr, wie wir Digitalisierung in den Unterricht integrieren können. Sondern: Wie gestalten wir Bildung mithilfe digitaler Technologien so, dass sie den Menschen stärkt, inspiriert und befähigt?