Ecotopia

Jenseits der Katastrophe

Jede Kultur braucht ein Super-Mem, ein übergreifendes Narrativ, dass die Gesellschaft zusammenhält, indem es für eine geteilte Vorstellung einer erstrebenswerten Zukunft sorgt. Die großen Erzählungen der Vergangenheit haben in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr an Überzeugungskraft verloren.

von Lena Papasabbas

16. Januar 2025

Die fossile Fortschrittserzählung hat ebenso ausgedient wie das Versprechen von wachsendem materiellen Wohlstand für alle, und auch die klassische Technik-Utopie überzeugt nur noch einige wenige Silicon-Valley-Jünger.

Überall Weltuntergang

Gleichzeitig legt sich die Aussicht auf die ökologische Katastrophe als neue bedrohliche Mega-Erzählung über alles menschliche Tun. In diesem Narrativ ist der Mensch nur noch ein Schädling, der seine eigene Lebensgrundlage zerstört. Jedes Kind kennt inzwischen die Horrorszenarien von aussterbenden Arten, Kriegen um verbleibende Ressourcen und gigantischen Migrationsströmen, die Bilder von überschwemmten Städten, brennenden Wäldern und todbringenden Dürren… Was dagegen fast vollständig fehlt, ist die überzeugende Vision einer positiv aufgeladenen ökologischen Zukunft.

Dabei birgt gerade die Zukunftserzählung eines anderen Verhältnisses von Mensch und natürlicher Umwelt das Potenzial eines neuen Super-Narrativs. Nicht im Sinne eines „Zurück“ in ein vermeintlich harmonisches Gestern, in dem wir alle in Lehmhütten leben und unser eigenes Gemüse anbauen. Sondern als eine Rekombination von vorhandenen technologischen, sozialen und naturwissenschaftlichen Ressourcen zugunsten eines ganzheitlich-systemischen Wandels. Eine sozial gerechte und ökologisch verträgliche Zukunft ist ein global geteiltes Anliegen, das uns als Gesellschaft einen neuen Richtungssinn, ein Zukunftsbild geben kann.

Pfade in die gute Zukunft

Um die Klimawende zu meistern, muss keine neue technologische Innovation entwickelt werden, keine noch bessere KI, keine weitere Weltverbesserungs-App. Alles, was wir als Gesellschaft brauchen, ist bereits vorhanden. Und anders als viele Generationen vor uns haben wir auch die technologischen und ökonomischen Möglichkeiten, um alternative Pfade einzuschlagen. 

Für die Erzeugung von Strom stehen die erneuerbaren Energielieferanten unbegrenzt zur Verfügung. Für die ökologisch verträgliche Produktion von Lebensmitteln sind ausreichend Wissen und Technologien vorhanden. Die Bereitstellung von allen möglichen notwendigen Gütern für die gesamte Weltbevölkerung wäre bereits heute möglich, würden wir auf Umverteilung setzen und unnötige Massenproduktion sowie Verschwendung reduzieren. 

Das Prinzip der Wegwerfgesellschaft lässt sich durch smarte Kreisläufe Schritt für Schritt ersetzen. Reuse, Reduce, Recycle – diese Grundprinzipien des ökologischen Handelns setzen vor allem ein Umdenken und ein Neu-Lernen von Kulturtechniken voraus. An vielen Stellen ist dieses Post-Growth-Mindset schon spürbar: sowohl in den zahlreichen minimalistischen und ökologischen Lebensformen, die bereits weltweit Form annehmen, als auch in der Wirtschaft, wo eine wachsende Zahl grüner Geschäftsmodelle, Social Businesses und Deep-Purpose-getriebener Unternehmen auf eine ebenso steigende Menge an kritischen Konsumierenden und Arbeitnehmer:innen trifft.

Reality Check: Aktivismus wirkt

Gründe zur Hoffnung gibt es viele: Menschen in Deutschland produzieren trotz Bevölkerungsanstieg so wenig Müll wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Immer mehr Staaten verbieten Plastik-Einmalprodukte. Erneuerbare Energien brechen ständig neue Rekorde. Unzählige Aufforstungsprojekte haben zum Zuwachs an gesunden Wäldern auf der ganzen Welt geführt. Die Fläche der weltweiten Meeresschutzgebiete wächst, Walpopulationen erholen sich… Doch angesichts der übergreifenden Katastrophenerzählung und der immer alarmistischeren Medienlandschaft bleiben all die guten Nachrichten nicht hängen. 

Was uns fehlt ist ein verbindendes Narrativ, dass die positiven Entwicklungpfade die schon beschritten wurden zusammenführt und eine lebendige, lustvolle Beziehung zur Zukunft erlaubt – jenseits von Hoffnungslosigkeit und Weltuntergang. 

Dieses „nächste Narrativ“ muss auch die Möglichkeiten und Verheißungen neuer Technologien integrieren, vor allem aber muss es die Rolle sozialer und struktureller Innovationen stärken, indem es soziale und ökologische Nachhaltigkeit wieder zusammen denkt. Denn soziale Entwicklung steht in direktem Zusammenhang mit einer gelingenden Beziehung zur natürlichen Umwelt. Echter Wandel ist nur systemisch möglich.