Der Innovationswahn und immer ausgefeilteres Storytelling und Content-Welten rund um Marken haben das eigentliche Produkt zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Die Marken und ihre originäre Leistung driften immer weiter auseinander. Doch nun kündigt sich ein Comeback der Qualität an: Ein „Zurück zum Produkt“, dass den gesamten Produktkreislauf einschließt.
Ein Auszug aus dem Future:Guide Marketing.
von Lena Papasabbas
15. Januar 2025
Wir leben in einer Gesellschaft und vor allem in einer Wirtschaft, in der das Neue grundsätzlich als das Bessere gilt. In ihrem Bestseller „The Innovation Delusion“ beschreiben Lee Vinsel und Andrew L. Russell, wie unsere Obsession mit dem „Next Big Thing“ die moderne Zivilisation in die Sackgasse führt: Alle jagen ständig dem nächsten Trend hinterher, stets auf der Suche nach dem Neuen und Besseren. Alle wollen „Innovation“, weil Innovation gleichbedeutend erscheint mit Profit. So wird jede kleinste Neuerung, jedes Update zur großen Innovation aufgebläht.
Doch je mehr Marken sich als „innovativ“ darstellen, umso weniger geht diese Marketingstrategie auf. Die Erkenntnis, dass hinter den allermeisten „Innovationen“ nicht mehr steckt als toll klingende, aber inhaltsleere Marketingversprechen, führt zu Enttäuschungen. Und während ein medial aufgeblasener Hype den nächsten ablöst, wird immer deutlicher: Echte Innovationen, die unsere Lebensqualität wirklich erhöhen, haben Seltenheitswert.
„Wir schätzen Güter nicht ausreichend für ihre nützlichen Funktionen, sondern konzentrieren uns auf den irrationalen Wert der Symbolik von Dingen.“
– Juliet Schor, Ökonomin & Soziologin
Mehrere gesellschaftliche Großtrends weisen in die gleiche Richtung: von Kapitalismuskritik und Postwachstumsbewegungen über Feminismus und Minimalismus bis zur Abkehr von Massenkonsum und Wegwerfgesellschaft. Künftig funktioniert die Erzählung der Innovation als Selbstzweck nicht mehr. Das Interesse verschiebt sich: weg von der Suche nach dem Neuen hin zu funktionierenden, hochwertigen Angeboten, die das Leben wirklich verbessern. Diese wirken auf den ersten Blick wenig spektakulär. Echte Verbesserung entwickelt sich oft graduell und nicht mit einem großen Knall. Wenn es darum geht, das Leben der Menschen wirklich zu verbessern, muss das Neue häufig hinter dem Erhalt und der Verbesserung des Alten zurückstecken. Dies ist eine der großen Zukunftsherausforderungen für die Markenkommunikation.
Angesichts der großen Fülle an Marken werden Qualität und Funktionalität wieder zu zentralen Wettbewerbsfaktoren. Allerdings befindet sich das, was Menschen als qualitativ hochwertig wahrnehmen, im Wandel – etwa durch soziale und ökologische Bewegungen. Ein aufstrebender Trend für das Marketing innerhalb dieser gesamtgesellschaftlichen Bewegung ist daher Zirkularität, also die systemische Einbettung einer Marke in wirtschaftliche und ökologische Kreisläufe.
In einer Welt, die immer weniger durch das ständige Erschaffen neuer Dinge funktioniert, sondern zunehmend durch Erhaltung, Wartung, Pflege, Integration und langsame Verbesserung des bereits Bestehenden, gewinnen Langlebigkeit und Zirkularität als Produkteigenschaften stark an Relevanz. Für das Marketing bedeutet auch dies ein Umdenken: weg von blindem Innovationismus, hin zu echter Verbesserung und langlebiger Qualität. Statt „superinnovativ“ wird „superlanglebig“ zum neuen Verkaufsargument. Progressive Marken gehen noch weiter und nehmen den gesamten Produktkreislauf mit in ihre Kommunikation auf.
Das Konzept von Systemen, die auf Kreisläufen basieren und ihr Denken und Handeln langfristig auf Produkt- und Lebenszyklen ausrichten, gewinnt angesichts der gegenwärtigen globalen Herausforderungen immens an Popularität.
Im Konzept der Kreislaufwirtschaft gehen Unternehmen über ihre direkte Wertschöpfung hinaus und beziehen soziale sowie ökologische Werte in ihr Handeln ein. Es geht darum, Ressourcen zu schonen, Abfall zu minimieren sowie Produkte und Materialien möglichst lang im Nutzungskreislauf zu halten. Das ist nicht nur gut für die Umwelt, sondern macht Unternehmen auch langfristig resilient. Auch beim Thema Lieferketten werden Kreisläufe zum interessanten Modell. Zumal neben dem gesellschaftlichen auch der politische Druck steigt, wie das deutsche Lieferkettengesetz und die Verschärfung von EU-Richtlinien zeigen.
Während viele große Marken gerade erst beginnen, die Themen Kreislaufwirtschaft, Langlebigkeit und Reparierbarkeit ernst zu nehmen, zeigen zahlreiche Start-ups bereits, wie erfolgreich zirkuläres Denken und Handeln für Marken aussehen kann:
Indem Zirkularität zum Markenkern wird, übernehmen Marken eine zentrale Verantwortung für den Wandel hin zu einer ökologisch verträglichen Wirtschaft. Dies ist eine große Chance für zukunftsorientiertes Marketing. Circular Brands können jede ihrer Kommunikations- und Positionierungsmaßnahmen mit konkreten Praktiken im Kontext von Kreisläufen verbinden und auf diese zurückführen. Aus linearen Marketingstrategien werden somit ganzheitlich-systemische Marketingwelten, die zirkuläre Prinzipien tief in der Markenkultur verankern. Das Denken und Handeln in Kreisläufen erstreckt sich also nicht nur auf Produkte oder Dienstleistungen, sondern genauso auf die Unternehmenskultur, die die Markenkultur und -identität von innen heraus prägt.
Marken, die als Circular Brands agieren, wachsen nicht mehr linear und rein quantitativ. Sie entwickeln sich evolutionär und qualitativ, indem sie verschiedene Berührungspunkte entlang des gesamten Produktlebenszyklus nutzen. Durch eine verantwortungsvolle Positionierung und nachhaltig-zirkuläres Handeln schaffen sie tiefere Verbindungen zu Konsumierenden und Mitarbeitenden – und generieren durch vielfältige Kommunikationsstrategien und nachhaltige Initiativen langfristige Mehrwerte für Gesellschaft und Umwelt.