Soziale Innovation

Wenn es um Zukunft geht, blickt alle Welt auf Technologien: Künstliche Intelligenz, Quantencomputer und Fusionsenergie sollen die Probleme der Menschheit lösen. Doch eine mindestens ebenso wichtige Rolle in der kulturellen Evolution spielen soziale Innovationen.

von Lena Papasabbas

16. Januar 2025

Wir leben in einer Welt, die in der Zukunft gleichbedeutend geworden ist mit Technologie. Die großen Tech-Giganten unserer Zeit haben uns eingebläut, dass wir im Zeitalter der Innovation leben und Lösungen für die großen Herausforderungen eine Frage der technologischen Entwicklung sind. 

Tatsächlich sind viele Innovationen aus dem Silicon Valley immer mehr zu Ersatz-Fetischen für echte soziale Entwicklung und altruistische Werte wie Freundlichkeit und Toleranz geworden. Statt an gemeinschaftlichen Werten zu arbeiten, suchen wir die Lösung in der Technologie, nach dem Motto: „Diese Kryptowährung kann Lieferketten fair machen“ oder „Die fünf besten Apps gegen Armut“. Statt uns als Gesellschaft zu dienen, hat der Hype um Innovation vor allem dem Wachstumskapitalismus als Hebel genutzt, um uns zu immer besseren Konsument:innen zu machen.

Wandel durch kulturelle Weiterentwicklung

Eine chronisch unterschätzte Rolle spielt dagegen soziale Innovation, die unser soziales Verhalten verändert. Hier finden sich vergleichsweise einfache Antworten auf die größten Herausforderungen, die sich der Menschheit heute stellen. Auch für globale Probleme, die oft als unlösbar komplex dargestellt werden. So zeigen verlässliche Daten, dass sich die rapide wachsende Weltbevölkerung durch die Bildung von Mädchen und die Gleichstellung von Frauen ausbremsen ließe. 

Der Feminismus ist einer der wichtigsten Treiber für kulturelle Evolution, er spielt eine Schlüsselrolle für nachhaltigere soziale Systeme, wirtschaftliche Stabilität und den Erhalt von Frieden. Die Gleichberechtigung der Geschlechter hat außerdem großen Einfluss auf die Entwicklung ökologisch verträglicher Systeme. Die weltweit in verschiedensten Formen auftretenden Frauenbewegungen und die zahlreichen Erfolge im Kampf um Geschlechtergerechtigkeit und LGBTQ-Gleichstellung machen die Welt nicht nur gerechter, sondern tragen maßgeblich zu einem Gelingen einer umweltverträglichen Wirtschaft und Gesellschaft bei.

Das Spektrum sozialer Innovation umfasst nicht nur das Erlernen neuer Werte und Kulturtechniken. Auch handfeste strukturelle Veränderungen, etwa in Form von Gesetzen, sind zentrale soziale Innovationen. Allein durch eine veränderte Haltung lässt sich das systemisch bedingte Auseinanderdriften von Geld-Eliten und den Leidtragenden des unregulierten Wachstumskapitalismus nicht lösen. Aber durch einen Hebel, der bereits vorhanden ist: Steuern.

Struktureller Wandel durch harte Grenzen

Konkrete Modelle zu einem Steuersystem, das die Anhäufung von Reichtum – sowohl von Personen und Familien als auch von Unternehmen – ausbremsen könnte, stellt der Physiker und Klimaforscher Anders Levermann in seinem Buch „Die Faltung der Welt“ vor. Würden sich Gesellschaften etwa dafür entscheiden, dass kein Unternehmen mächtiger sein darf als das Land, in dem es operiert, gäbe es auch keine übermächtigen Superkonzerne wie Google oder Amazon mehr: „Die Regierungen sollten die Unternehmenssteuern so ändern, dass es für Konzerne ab einer bestimmten Größe unattraktiv wird, noch größer zu werden. Sie würden sich dann aufsplitten und damit die Vielfalt stärken.“

Das simple Prinzip der unverhandelbaren, harten Grenzen, innerhalb derer ein System sich bewegen und entfalten kann und muss, ist ein mächtiger Lösungsansatz, um viele aktuelle Schieflagen in Gesellschaft und Wirtschaft zu beheben. Ein klares Verbot der Nutzung fossiler Energieträger zum Beispiel würde zum endgültigen Durchbruch erneuerbarer Energien führen und eine Fülle an Business-Innovationen hervorrufen. Neue Materialien würden entwickelt, neue Treibstoffe, neue Verpackungen … Ein Wachstum in die Breite wäre die Folge.

Eine weitere soziale Innovation: Dürfte niemand mehr als 2 Millionen Euro erben, würde die extreme Anhäufung von Reichtum und damit auch Macht verlässlich eingeschränkt. Geld würde wieder zurück in die Sozial-, Bildungs- und Versorgungssysteme fließen, Parallelgesellschaften von Superreichen, die außerhalb der Gesellschaft stehen, aber immensen Einfluss auf die Politik nehmen, gehörten der Vergangenheit an. 

Eine solche „Faltung der Welt“ mag utopisch erscheinen. Doch die harten Grenzen von Zivilisationen haben sich stets verändert. Genauso selbstverständlich, wie wir heute ein Verbot von Sklaverei oder das Wahlrecht von Frauen akzeptieren, wäre es möglich, neue unverhandlbare Grenzen zu ziehen, innerhalb derer sich eine neue, bessere Gesellschaft entwickeln kann.

Die Kulturanthropologin und Zukunftsforscherin Lena Papasabbas beschäftigt sich mit dem Wertewandel und dessen Auswirkungen auf Gesellschaft und Individuum. Auf inspirierende Weise heben ihre Vorträge aktuelle konstruktive Transformationsprozesse hervor, die in eine lebenswerte Zukunft weisen.

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