Die Zukunft des Konsums

Der Konsum der Zukunft hat eine klare Funktion: Er soll ein gutes Leben ermöglichen. Um das zu erreichen, brauchen wir allerdings eine grundlegende Transformation von Konsum. Denn momentan richtet er mehr Schaden an, als er nützt. Vier Thesen für die Zukunft des Konsums  – und wie Unternehmen die Transformation des Konsums vorantreiben können.

Ein Auszug aus dem Future:Guide Konsum.

von Janine Seitz

3. Juni 2025

Welt ohne Konsum

Von heute aus betrachtet wäre eine Welt ohne Konsum (wie wir ihn kennen) eine Welt im Chaos. Die wirtschaftlichen Folgen wären verheerend:

  • Das Wirtschaftssystem bricht zusammen, da es auf Wachstum und dem Verkauf von Waren basiert. Ohne Gewinnerzielung keine Arbeitsplätze. Es kommt zu einer Rezession und hoher Arbeitslosigkeit. 
  • Die Massenproduktion von Waren geht zurück, weltweit fallen Jobs weg. Dadurch verändert sich unser Umgang mit Waren: Dinge werden repariert, möglichst lange am Laufen gehalten, jede:r versucht, sich selbst zu versorgen, glücklich können sich diejenigen schätzen, die einen Garten oder Land und Möglichkeiten haben, Nahrungsmittel selbst zu erzeugen. 
  • Die Schattenwirtschaft floriert. Und überhaupt: Wer braucht schon Geld in einer Welt, in der es sowieso kaum mehr etwas zu kaufen gibt? Das Währungssystem verändert sich, neben Geld gewinnen der Tauschhandel und alternative Währungssysteme an Bedeutung.

Wie verbringen wir unsere Zeit, wenn wir einen Großteil des Tages nicht mehr mit Konsum und/oder dem Arbeiten verbringen? Es ist davon auszugehen, dass viele Berufe, die direkt oder indirekt mit Konsum zusammenhängen (z.B. Marketing, Werbung, Einzelhandel), wegfallen. Stattdessen gewinnen Berufe in den Bereichen Reparatur, Wiederverwertung sowie Landwirtschaft und Handwerk für den lokalen, unmittelbaren Bedarf an Bedeutung; es wird das hergestellt, was wirklich gebraucht wird – für diejenigen, die es sich leisten können bzw. die beste Gegenleistung bieten. 

Unser Lebensstil verändert sich grundlegend, indem sich der Fokus von materiellem Besitz hin zu immateriellen Werten wie sozialen Beziehungen, persönlicher Entwicklung, Gesundheit und Bildung verschiebt.  Wer ein soziales Netzwerk hat, ist besser dran. Lokale und autarke Gemeinschaften erstarken, denn man ist aufeinander angewiesen, muss sich gegenseitig unterstützen und Ressourcen miteinander teilen.

„Konsum gehört zum Menschsein dazu, denn Konsum ist nichts künstlich Geschaffenes.“

Der Drang nach Konsum, nach immer mehr und nach materiellem Erfolg gehört der Vergangenheit an. Das hat auch etwas Befreiendes, es ist eine Art kollektives Detox, ein Abbau von Stress und Erschöpfung. Und: Weniger Konsum bedeutet weniger Ressourcenverbrauch, weniger Müll und weniger Umweltverschmutzung. Das kommt unserem Planeten zugute.

Aber seien wir ehrlich: Für die Menschen ist es eine dunkle Zeit voller Konflikte und Kriege, voller Hungersnöte und Krankheiten, voller Leid, Hass und Gegeneinander. Das globale Wirtschaftssystem, basierend auf Produktion und Konsum, stützt das menschliche Zusammenleben – mit seinem Zusammenbruch wird auch die Menschheit ins Chaos stürzen. Eine Welt ohne Konsum ist somit nicht nur kaum vorstellbar, sondern auch nicht wünschenswert.

Wie und warum konsumieren wir heute?

  • Konsum hält Gesellschaften zusammen und verbindet die Welt. Aktuell steckt die Welt im Krisenmodus – dies ist eine Chance, den Konsum zu verändern und ihn zu nutzen, um gesellschaftliche Transformationen anzuschieben.
  • Konsum ist kein menschliches Bedürfnis, sondern eine Kulturtechnik. Eine Strategie, die der Mensch entwickelt hat, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Kulturtechniken sind eng an Bedürfnisse geknüpft: Es geht um die Beseitigung eines Mangels und/oder die Verbesserung der Lebenssituation. Um diese Kulturtechnik anzuwenden, hat der Mensch ein dafür passendes System entwickelt: den Kapitalismus.
  • Dieses System bringt neben Bedürfnissen auch Begehrnisse hervor. Längst ist es ein sich selbst erhaltendes System, das nicht mehr dem Menschen und seinem Streben nach einem guten Leben dient.
  • Ein holistisches Verständnis von Konsum stellt den Menschen wieder in den Mittelpunkt des Konsums. Dies gelingt, indem Unternehmen nicht mehr künstliche Begehrnisse schaffen, sondern ihr Angebot an den menschlichen Bedürfnissen ausrichten.

Vier Thesen für den Konsum der Zukunft

Konsum gehört zum Menschsein dazu, denn Konsum ist nichts künstlich Geschaffenes. Der Mensch konsumiert schon allein dadurch, dass er Nahrung zu sich nimmt. Wie können wir also Konsum künftig so gestalten, dass er ein besseres Leben ermöglicht, das dem Menschen, der Gesellschaft und dem Planeten zugutekommt?

1. Konsum der Zukunft ist eine (politische) Haltung!

Mit Konsum werden strategisch Werte und Haltung ausgedrückt – immer und überall, bewusst oder unbewusst. Konsum dient nicht mehr nur zur Bedürfnisbefriedigung und als Statussymbol, sondern ist Ausdruck von Werten und Identität. Kaufentscheidungen sind zunehmend politisch aufgeladen – Verbraucher:innen nutzen ihre Kaufentscheidungen, unter anderem über Boykotte und Buykotte, um Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft zu nehmen. Unternehmen zeigen Haltung, übernehmen Verantwortung und kommunizieren ihre Werte. Konsumierende erwarten, dass Unternehmen einen Beitrag zu gesellschaftlichen und ökologischen Zielen leisten.

2. Konsum der Zukunft ist nicht mehr das Problem, sondern die Lösung!

Konsum erlebt einen Imagewandel: Er befreit sich vom Stigma der Schuld, ist positiv und lösungsorientiert. Konsum der Zukunft macht Spaß. Konsum der Zukunft schafft einen Mehrwert für Individuum, Gesellschaft und Umwelt. Unternehmen fördern verantwortungsbewussten Konsum und machen ihn erlebbar. Kreislaufwirtschaft, Sharing-Modelle, Secondhand und Reparaturservices bieten Chancen und eröffnen neue Geschäftsfelder.

3. Konsum der Zukunft schafft eine Wir-Kultur!

Konsum verbindet und bringt Menschen zusammen. Die Konsumgesellschaft wird zur Konsum-Community, die über geteilte Erfahrungen und Erlebnisse Gemeinschaft ermöglicht. Konsum ist kein rein privater Akt, sondern eingebettet in soziokulturelle und institutionelle Strukturen. Konsum fungiert als sozialer Kitt, der Menschen verbindet. Das Konsumerlebnis ist ein ganzheitlicher Prozess, der über den reinen Kaufakt hinausgeht. Die Customer Journey wird zum Customer Experience Cycle.

4. Konsum der Zukunft erfüllt Bedürfnisse und aktiviert!

Konsum stillt Bedürfnisse und steigert nicht Begehrnisse. Somit entfaltet Konsum seine aktivierende Kraft und bringt Menschen ins Handeln. Konsum wird zum Werkzeug für ein erfülltes und sinnvolles Leben. Unternehmen gestalten Konsum so, dass er echte menschliche Bedürfnisse erfüllt und positive Veränderungen bewirkt. Bedürfnisorientierte Lösungen bilden die Basis für eine stabile und resiliente Gesellschaft. Hierfür bietet das Future:Needs-Modell eine Orientierungsgrundlage.

Janine Seitz ist Zukunftsforscherin, Kulturwissenschaftlerin und Expertin für Konsumkultur. Aus den Dynamiken von Trends und Gegentrends entwickelt sie ein ganzheitliches Verständnis von Konsum, das die menschlichen Bedürfnisse in den Mittelpunkt rückt.