Der Irrtum der Innovationslogik

Warum echte Transformation mehr braucht als „Innovation“ – und wie Bildung zum gemeinsamen Möglichkeitsraum werden kann.

von Stephanie Wössner

16. Oktober 2025

Innovation gilt als Leitmotiv moderner Bildungspolitik. Programme, Pilotprojekte, Modellversuche – fast alles, was sich mit „Zukunft“ schmückt, spricht die Sprache der Innovation. Auch Strategiepapiere wie der „Navigator Bildung Digitalisierung“ nutzen dieses Vokabular: Sie verweisen auf Entwicklungsbedarfe, Good Practices und Wege zur Skalierung erfolgreicher Modelle.

Doch dahinter steckt eine lineare Logik – die Vorstellung, Wandel sei das Ergebnis von Planung, Steuerung und Umsetzung. Genau darin liegt ein Missverständnis: Transformation ist kein Projekt, das man „managen“ kann. Kein Fortschrittsprogramm, sondern ein kultureller Prozess, der Menschen, Beziehungen und Haltungen verändert. Sie lässt sich nicht implementieren, sondern nur ermöglichen.

Innovation allein reicht nicht

Die Innovationslogik folgt betriebswirtschaftlicher Rationalität: Ein Problem wird definiert, eine Lösung erprobt, optimiert, skaliert. Bildung aber funktioniert nicht wie Produktentwicklung. Sie ist kein Markt mit übertragbaren Modellen, sondern ein Beziehungsgeschehen. Was an einem Ort gelingt, kann an einem anderen scheitern – nicht wegen mangelhafter Umsetzung, sondern wegen unterschiedlicher kultureller Kontexte.

Echte Transformation entsteht dort, wo Menschen bereit sind, sich irritieren zu lassen, Gewohnheiten zu hinterfragen und Neues nicht sofort zu bewerten. Sie beginnt im Inneren von Organisationen und Individuen – als Suchbewegung, nicht als Projektphase. Sie braucht Zeit, Resonanz, Vertrauen und die Fähigkeit, mit Nichtwissen und Ambiguität zu leben.

Wenn Bildung eine Suchbewegung ist, dann gilt das auch für die Lernenden. Sie sind keine Empfänger:innen von Veränderung, sondern Mitgestaltende des Suchprozesses. Wo sie eigene Fragen stellen und Irritationen aushalten dürfen, entsteht jene Haltung, aus der echte Transformation erwächst – nicht durch Anleitung, sondern durch gemeinsames Entdecken.

Der blinde Fleck des Steuerungsdenkens

Viele Initiativen zur „digitalen Bildung“ modernisieren Methoden und Tools – aber selten die Haltung. Wenn digitale Neuerungen nicht von kulturellem Wandel begleitet werden, bleiben sie oberflächlich: Innovationstapete auf alten Wänden.

Auch der „Navigator Bildung Digitalisierung“ benennt Handlungsfelder, Maßnahmen, Indikatoren – aber kaum die emotionale und relationale Dimension des Wandels. Eine transformative Perspektive fragt stattdessen: Was braucht es, damit Neues überhaupt als wertvoll erkannt wird? Welche Irritationen müssen wir zulassen, um Altes loszulassen?

Kultur statt Projektplan

Transformation ist keine Fortschreibung des Bestehenden mit neuen Mitteln. Sie ist ein Perspektivwechsel: weg vom Machbarkeitsdenken, hin zum Gestalten im Unbestimmten. Statt Innovation um der Innovation willen braucht es Imagination – den Mut, sich auf das Nichtplanbare einzulassen.

Ein Beispiel: Eine Schule beginnt nicht mit neuen Apps, sondern mit der Frage, wie Menschen dort miteinander lernen. Sie reflektiert Beziehungen, Haltung, Selbstverständnis. Erst daraus entsteht Neues – nicht durch Implementierung, sondern durch Selbstveränderung.

Bildung als gemeinsamer Suchraum

Bildung wird so zum gemeinsamen Suchraum: nicht zur Umsetzung vorgegebener Ziele, sondern zur Erkundung dessen, was möglich ist. Nicht zur Sicherung von Standards, sondern zur Entfaltung von Sinn. Nicht zur Anhäufung von Kompetenzen, sondern zur Entwicklung von Verantwortung.

Diese Haltung verändert Rollen: Lernende werden zu Mitgestaltenden, Lehrkräfte zu Lernbegleitenden, Eltern und Ausbildende zu Mitreisenden. Suchende Bildung braucht Vertrauen statt Kontrolle. Resonanz statt Bewertung. Neugier statt Gewissheit.

Transformation ist nie abgeschlossen. Sie bleibt Zumutung und Einladung zugleich: loszulassen, was Sicherheit gibt, und zu entdecken, was Bedeutung hat. Das Ziel ist nicht, Bildung besser zu steuern. Sondern sie als kollektiven Suchprozess zu verstehen: als Raum, in dem Fragen wichtiger sind als Antworten.