Gegenprognosen zur Zukunft der Künstlichen Intelligenz

KI als Wundermaschine

Wann ist KI eine Wundermaschine – und wo stärkt sie die menschliche Weisheit? Im dritten Teil seiner KI-Reihe nimmt Matthias Horx verschiedene Gegenprognosen zur Zukunft der Künstlichen Intelligenz in den Blick und zeigt, wo sich bereits konstruktive Zukunftspfade dieser Technologie abzeichnen.

Teil 1: Das KI-Gespenst. Wie ein Dämon uns in die Irre führt. Ein Rant (Wutanfall).

Teil 2: 8 Prognosen zur Zukunft der KI.

von Matthias Horx

10. November 2025


KI als Wundermaschine

1. KI wird es einzelnen Menschen ermöglichen, gewaltige Hebelkräfte zu entfalten.


Ein einzelner Mensch kann eine ganze Firma führen UND gleichzeitig betreiben. Das One-Person-Superunternehmen ist möglich. Das bietet Chancen für Newcomer, Aufsteiger, Innovateure, Verrückte, Genies, die sonst kein Kapital bekommen würden. Aber auch Fanatiker und Hasardeure oder Hypernarzissten können nun leichter die Welt verderben.

2. In der Forschung werden KI-Systeme die Unmengen von Daten zähmen, die jetzt schon jede Datenbank überfordern.


In der Molekularbiologie, der Steuerungstechnik, in der  Simulationstechnik (Stichwort Digital Twins) gibt es gewaltige positive Anwendungsbereiche. Also eher dort, wo KI nicht GENERATIV ist, sondern im Hintergrund steuert, rechnet, vergleicht und sortiert, also eher ein Expertensystem ist.

3. In spezialisierten Sonderanwendungen, für die es sonst nicht genug Investitionskapital gibt, kann die KI glänzen.


Man denke an die „Lesung“ der Pergamentrollen der Villa dei Papiri in den Ruinen der antiken Stadt Herculaneum. Dort wurde beim Untergang durch den Vulkanausbruch im Jahr 79 a.d. eine der größten Privatbibliotheken der Antike zerstört. Die verkohlten Schriftrollen können heute mit Hilfe von KI teilweise reproduziert werden. Auch in ökologischen Anwendungen kommt KI deutlich in den Win-Win-Bereich: Etwa bei Recycling von Müll in Richtung von Cradle-to-Cradle-Systemen. Oder  in der Koordination komplexer Energieinputs und -outputs in einem stabilen regenerativen Energiesystem.

4. KI kann auch in sozialen Bereichen Wunder wirken, wo guten Zwecken eine unüberwindbare Personalschwäche gegenübersteht.


Ein Beispiel aus Kolumbien: Mercedes Bidart, Leiterin der Entwicklungs-Organisation Quipu, erklärte, dass rund ein Drittel des BIP des Landes auf Kleinstunternehmen ohne Bankkonto entfällt. Viele dieser Unternehmer:innen würden sich über einen Kredit freuen, um von der Straßenecke in ein echtes Geschäft umzusteigen, aber keine Bank würde einen Risikogutachter schicken, um mit einer Frau zu sprechen, die an einem Stand Tamales (Gericht aus Maisteig) verkauft. Quipu baute ein System auf, das wie eine App funktioniert: Kleinunternehmer, auch die am Straßenrand, können Fotos ihres Geschäfts einschicken und davon erzählen. Eine KI trifft unter den tausenden von Einsendungen eine Vorauswahl, wer für Kredite in Frage käme.

KI in der Medizin

In einigen Bereichen kommt die Mensch-Maschine-Problematik stärker zum Vorschein, kann jedoch auch leichter gestaltet werden. Nehmen wir die Medizin: KI-Systeme sind oft besser im Diagnostizieren als Ärzte. Kein Wunder: Geschulte  Systeme haben weitaus mehr Diagnosen eingelesen als jeder Arzt kennen kann.

Allerdings liegt hier auch eine entscheidende Problematik im Wesen des Menschen: Symptome sind oft unscharf, vielschichtig und psychologisch verwoben.  Ob etwas schmerzt und WIE es schmerzt und sich anfühlt, bleibt ein Rätsel, das man leichter mit einem analogen Hirn lösen kann. Manchmal findet man (Mensch) die richtige Diagnose nur durch zahlreiche Kommunikations-Umwege im Patientenkontakt. KI versagt im Medizinsektor eher dort, wo das radikal Subjektive ins Spiel kommt. Heilung und Gesundung haben immer auch etwas mit menschlicher Begegnung zu tun, mit menschlicher Ermutigung, die der Heilende dem Kranken auf den Weg gibt.

Trotzdem können medizinische Bots sinnvoll sein, wo es darum geht, Gesundheit zu erhalten, zu monitoren und zu „coachen“. In Japan sind sprechende Medizin-Bots bei älteren Menschen, die einsam leben, eine wichtige Lebensverlängerung. Die ständige Ansprechbarkeit, die Lernfähigkeit von Medic-Bots, kann Lücken ausfüllen, in die das Gesundheitssystem nicht mehr hineinkommt (vgl. New Yorker 2025).

KI in der Bildung

In der Bildung hängt die Zukunft der KI von der Frage ab, ob wir in der Lage sind, ein Bildungssystem der Meta-Pädagogik zu erschaffen. Mehr als Anleitung zum Weiterdenken und Höherfühlen, weniger zum Wissenserwerb. In diesem Bildungssystem müsste es um die höheren kognitiven Kompetenzen gehen – um das, was Menschen kreativ, autonom und  sinnlich kompetent macht.  Heutige Pädagogik ist immer noch nahe am „Einfüllen“ von Wissen in junge Köpfe. Wie heißt es so schön: Je mehr Unterricht, desto weniger wird gelernt. 

Die Ansätze der Reformpädagogik, deren Wurzeln bis ins vorletzte Jahrhundert reichen, sind dabei nützlich. Lehrer:innen werden immer unwichtiger. Und gleichzeitig immer wichtiger. Das ist das eigentliche Bildungsparadox unserer Zeit. 

Die KI fordert den Bildungssektor heraus, sich neu zu erfinden. Auf die harte Tour.

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Kann man die Zukunft der KI prognostizieren?

  • Alles, was verantwortliche zwischenmenschliche Arbeit erfordert, von Fluglotsen bis zu Heilberufen – bleibt erhalten und gewinnt an Bedeutung eher noch dazu. Hier bleiben KIs wertvolle Assistenzsysteme, die in hoher Komplexität Menschen entlasten. 
  • In Bereichen mit „archivarischem Überfluss“ – Anwaltspraxen, Steuerberatungen, Behörden – kann KI tatsächlich von monotonen Aufgaben befreien. Allerdings wird sie dort auch die Anzahl der Berufsanfänger drastisch reduzieren. Und zu Phänomenen „hochgebildeter Arbeitslosigkeit“ führen (die allerdings nicht dauerhaft bleiben müssen).
  • In der schillernden Blase der KI boomen neue Berufszweige. Ein verbreiteter Boom-Beruf wird der „Agenten-Manager“ oder „Kontext-System-Ingenieur“. Als System-Magier und Manager der digitalen Heinzelmännchen hat man eine steile Karriere vor sich (vgl. FAZ 2025).

All das passiert gleichzeitig, parallel zueinander. Genau das ist der Grund, weshalb es über die KI keine endgültige Diagnose oder Meinung geben kann. Auch keine exakte Prognose im Sinne vollständiger Voraussicht, „wie es werden wird“. Die Auseinandersetzung der humanen Kultur mit der KI ist ein andauernder, tastender Prozess, bei dem wir dringend mehr menschliches Selbstbewusstsein brauchen. Um daraus einen Selektionsprozess für das Gute und das Bessere zu entwickeln, müssen wir geistig, emotional und mental die Treppe der Evolution eine Stufe höher gehen. Oder besser gleich mehrere.


Die etwas andere Gartner-Kurve

Die Gartner-Kurve, ein Analyse-Instrument der gleichnamigen Beratungsgesellschaft, gilt als das Nonplusultra der Technologie-Prognostik. Sie ist gerade in Bezug auf die KI-Entwicklung von großer Bedeutung. Die Kurve ordnet Technologien auf einer Linie von Hype-Faktor durch das „Tal der Enttäuschung“ bis hin zu den realen Anwendungsmärkten. Hier die Gartner-Kurve für KI 2024:

Auffällig ist bei diesen Kurven, dass in linearer Weise immer nur Teiltechnologien aneinander gereiht werden. Das Prognose-System ist, im Kontext human-technischer Adaption, unterkomplex. Das ändert sich auch nicht, wenn man längere Zeiträume ins Auge nimmt:

Hier geht es um 2- 5-10-Jahre-Prognosen. Aber alles scheint noch in weiter Ferne. Seltsam: wird uns nicht täglich von den sagenhaften Erfolgen der KI berichtet, behauptet, dass KI überall schon in Unternehmen verbreitet ist, Alles schon „läuft“, und zwar „immer besser“?

Vielleicht sieht die Kurve in ihrem Verlauf ganz anders aus. Das hier wäre meine Kurve:

Ich vermute, dass die KI den Pfadverlauf linearer Technik-Entwicklungen sprengen wird. Sie wird zu einer Menge Enttäuschungen führen, freigelegten, „nackten“ Hypes. Aber auch zu enormen Positiv-Effekten an Stellen, wo man sie heute nicht vermutet. KI ist eine Überraschungsbox, eine Wundertüte, eine Pralinenschachtel ganz im Sinne von Forrest Gump (oder war es seine Mutter?). Eine Rollercoaster-Technologie. Man könnte aber auch sagen: Ein Dauer-Hype mit Ausschlägen in die bessere Welt.

KI ist alles mögliche:

  • Auf der mentalen Ebene ein Monster, das unsere Kultur zerstören kann. 
  • Auf der „Tool“-Ebene ein Segen.
  • Auf der (systemischen) Anwendungs-Ebene heikel.

Ein Dreikörperproblem, das nicht zu lösen ist. Oder eine Synthese von Widersprüchen, die auf Umwegen in die Zukunft führt.


KI gibt uns die Gelegenheit zur Weisheit

Jede fundamentale Technologie fordert unsere gewachsenen Weltkonstruktionen heraus. Sie zwingt uns zu inneren und äußeren Veränderungen. Zur Reflexion unserer Vor-Stellungen, Selbst-Bilder und Selbst-Konstruktionen, die zu Gewohnheiten und starren „Mentalitäten“ geworden sind. 

Sie zeigt das Innere und das Äußere.

In einem neuen Licht.

KI kann unsere Welt verbessern, wenn sie uns anregt, die UNTERSCHIEDE zwischen Mensch und Maschinen deutlicher wahr-zunehmen – Das HUMANUM und das TECHNIUM zu differenzieren. Jene menschlichen Eigenschaften weiter zu entwickeln, die eben NICHT von KI übernommen werden können.

  • Empathie und Verbindung: KI kann menschliche Reaktionen simulieren, aber nicht fühlen. Empathie, die Fähigkeit, die Emotionen anderer wirklich zu spüren und sich mit ihnen zu identifizieren, ist grundlegend für Beziehungen und das  Zugehörigkeitsgefühl – nicht nur zu Menschen, sondern auch zur Welt, Zeit und  Kosmos.
  • Kreativität und Ethik: Das Ethische kann man (anders als das Moralische) nur scheinbar digitalisieren, weil es immer eine Abwägung ist, die mit Gefühlen, Instinkten und Ahnungen zu tun hat, die über das Algorithmische hinaus ins Zukünftige reichen. Ethik ist etwas, das man entscheiden muss, weil es nicht logisch ableitbar ist (obwohl viele radikale Digitalisten das behaupten). Auch echte Kreativität ist unbeschreiblich – sie beinhaltet Kampf, Wiederholung, Freude und Frustration, Enttäuschung und Stolz. Kreativität das, was neue Möglichkeitsräume, neue Kontexte erschafft, die vorher „noch nie ein Mensch gesehen hat“. Auch die KI nicht. 
  • Wahrheit und Weisheit: KI kann schlau und weise reden und viele „Wahrheiten“ simulieren – aber nur, weil Menschen das vorher getan haben. Weisheit gibt im Reiche des Siliziums keinen Sinn. Denn Weisheit ist die Überzeitlichkeit eines sterblichen Geistes.


PS: Eine kleine Einordnung der KI-Mentalitäten

  • Doomer halten die KI für ein weltverderbendes Supergift. Möchten sie generell verbieten, weil sonst der Untergang der Menschheit droht. 
  • Gloomer halten die KI für eine problematische Technologie, die man mit allen Mitteln begrenzen  muss. Strenge Kontrolle durch den Staat ist unabdingbar. 
  • Zoomer oder „KI-Islamisten“ möchten die Entwicklung der KI im Sinne einer Erlösungserwartung beschleunigen. Alle Zweifel und Widerstände beseitigen! Vorwärts im Lauf zur Unsterblichkeit, zur Lösung aller aller Probleme!
  • Bloomer suchen nach Adaption der Technologie an menschliche Bedürfnisse. Glauben, dass eine vernünftige Beziehung notwendig ist und sich im Laufe der Zeit segensreiche Anwendungen „herausevolutionieren“ werden. Im Sinne eines Nettovorteils der menschlichen Zivilisation.

Ich gehöre zur vierten Kategorie, den Bloomern. Es muss blühen, um fruchtbar zu werden. Aber wir müssen auch jäten und pflegen. Wir sind die Gärtner der Zukunft. Es wird hart und mühsam, und manchmal spielen das Wetter oder der Zufall nicht mit. Aber es wird trotzdem eine Ernte geben.

PS: Dieser Text wurde mit nur geringer Hilfe von KI erzeugt (für Übersetzungen). Die KI gibt immer nur Antworten. In Richtung Zukunft geht es aber um die besseren Fragen.

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