Welchen Namen könnte das Next Age, das sich gerade herausbildet, tragen? Die hier versammelten Vorschläge sind zugespitzte Szenarien: Gedankenexperimente, die in dieser Absolutheit nicht zu erwarten sind – aber jeweils bestimmte Eigenschaften und Merkmale aufweisen, die das Next Age mitprägen werden. Die Frage ist nur: in welchem Ausmaß?
Ein Auszug aus „Beyond 2025 – Das Jahrbuch für Zukunft“
von Matthias Horx
27. November 2024
Das Sonnenzeitalter
Das nächste Zeitalter steht ganz im Zeichen der Sonne. Nach dem Ende der Ära der fossilen Verbrennung entsteht eine neue Kultur, in der Energie preiswert und üppig zur Verfügung steht. Technologien „solarisieren“ sich, Architekturen verändern sich ästhetisch und energetisch – unsere Denk- und Lebensweisen werden vom Zentralgestirn erleuchtet.
Die Herrschaft des Menschen über die Natur
Im Anthropozän hat die menschliche Spezies sich endgültig den Planeten Erde unterworfen: die ganze Biosphäre, die Wälder, Meere, Wüsten und schließlich auch den erdnahen Weltraum. Statt sich der Natur anzupassen, wird alles „terraformt“. Nach dem Vorbild der Arabischen Emirate, in denen riesige künstliche Städte und Landschaften entstehen, erobern die menschlichen Infrastrukturen endgültig den Planeten und formen ihn um. Aber das muss nicht in die Katastrophe führen. BioTechs und SynTechs ermöglichen organische Landschaftsgestaltungen, in denen Technologie und Natur neue Symbiosen eingehen. Oder wie der US-amerikanische Zukunftsforscher Stuart Brand schon 1968 als Motto seines „Whole Earth Catalog“ formulierte: „We are like gods and might as well get good at it.“
Das Zeitalter der neuen Völkerwanderungen
Die klassischen Staatengebilde zerfallen langsam, Grenzen verschwimmen. In einer hypermobilen Welt werden immer mehr Menschen zu Nomaden, die von Ort zu Ort ziehen (oder nicht mehr dort leben, wo sie herkommen). Populationen wandeln sich. „Bürgerschaften“ entstehen aus freien Zusammenschlüssen, ähnlich wie in der Gründerzeit Amerikas, Offshore-Gemeinschaften boomen. Exodus wird ein normales Verhaltensmuster im Zeichen von Krisen und Diktaturen. Aus jedem Flucht-Camp wird früher oder später eine stabile Gemeinschaft mit eigenen Rechten, Strukturen und Lebens- weisen. Den Wandernden gehört die Welt.
Die Evolution zum Komplexen
Die Ära der Metamoderne ist eine kulturelle und philosophische Bewegung, die auf die Postmoderne reagiert. Sie zeichnet sich durch eine Wiederbelebung von Sinn, Gemeinschaft und Fortschrittsglaube aus – während sie gleichzeitig die Unsicherheiten und Widersprüche der postmodernen Welt anerkennt. In der Metamoderne geht es darum, Komplexität und Ambiguität zu umarmen, ohne die Suche nach Lösungen und positiven Veränderungen aufzugeben.
Die Ära des Chaos und der Rudelbildung
Anomie bezeichnet einen Zustand fehlender oder schwacher sozialer Normen, Regeln und Ordnungssysteme. Fortschreitende Gesetz- und Regellosigkeit, immer schwächere Institutionen und zerbröckelnde Infrastrukturen können die gesellschaftliche Integration nicht länger gewährleisten. Die Folge ist eine tribale Renaissance: Gangs und Neo-Stämme haben in einer chaotischen Welt die besten Überlebenschancen. Überall Sekten, Banden, Konglomerate, Mafias, korrupte Systeme, die in gesetzlosen Kleinstaaten und „lost countries“ gegen- einander kämpfen oder sich miteinander verbünden. Die Welt verwandelt sich in eine „Mad Max“-Dystopie mit trumpistischen Zügen.
Das Zeitalter der Multiwesen
„Cthulhu“ ist eine fiktive Kreatur aus einer Kurzgeschichte des US-amerikanischen Schriftstellers H.P. Lovecraft – und der Name einer ganz realen kalifornischen Spinne: Pimoa cthulhu. Das Wort beinhaltet aber auch eine Referenz an die Erdgöttinnen oder die Kräfte der Erde, die von animistischen und pantheistischen Glaubensrichtungen verehrt werden. Ausgerufen hat das Cthuluzän die US-amerikanische Biologin und feministische Theoretikerin Donna Haraway: Im Gegensatz zum Anthropozän steht hier nicht der Mensch in Zentrum der Ge- schichte, sondern das Leben aller Arten und Kreaturen, seien es Oktopusse, Korallen oder Pilze. In Haraways „magischen“ Büchern wimmelt es von Primaten und Cyborgs, die Grenze zwischen Mensch und Tier verschwimmt ebenso wie die Grenze zwischen Mensch und Maschine.
Die Flucht in die Simulationen
Der Cyberspace wird Wirklichkeit, die virtuelle Welt stülpt sich endgültig über die menschliche Kultur. Wir realisieren, dass es keine „Realität“ mehr gibt – wir aber auch keine mehr brauchen. Die Wirklichkeit war sowieso nur eine Illusion. Immer mehr Menschen emigrieren in Rundum-Simulationen, die von wenigen monopolistischen Superkonzernen beherrscht werden, und in denen man alle Wünsche, Träume, Fantasien verwirklichen kann. Die begehrtesten Tech-Gadgets sind Simulationsanzüge, die Hirn und Körper stimulieren. Viele finden aus den künstlichen Welten gar nicht mehr heraus.
Die Verschmelzung von Mensch und Maschine
Geht es nach dem US-amerikanischen Superfuturisten Ray Kurzweil und seiner Fangemeinde, endet 2046 die Welt, in der Menschen sterben müssen. Mit dem Erreichen der „Singularität“ wird das Tempo der technischen Entwicklung so schnell, dass Supertechnologien entstehen, in denen der Mensch aufgeht. Wir werden unsere Identitäten auf riesige Quantencomputer hochladen und ein ewiges glückliches Leben führen. Eins sind der Mensch und das Himmelreich, in silicium. Amen!
Die Ära des Heilens und Verbindens
Unsere Welt ist erschöpft, überstresst und „aus den Fugen“. Wir leben in einer zersplitterten Wirklichkeit, die sich nach Regeneration sehnt. Nach Heilung und Ganzheit, nach Ent-Schleunigung und Ver-Bindung. In einer Epoche der Regeneration widmen wir uns dem Verbindlichen, dem Heilenden und Zusammenfügenden. Wir bilden neue Gemeinschaften, überwinden die Wegwerfgesellschaft und entwickeln eine neue Kultur des Zuhörens, die die Demokratie stärkt und erneuert. Wir lernen, wieder überzeitlich zu denken – posterity statt prosperity. Unser Leben ist wieder auf die Nachkommen- den ausgerichtet. Wir begleiten uns selbst liebevoll durchs Leben – und tun dies auch mit anderen. Aus dem Wort „kümmern“ verschwindet der Kummer.
Das Zeitalter der chinesischen Dominanz
China wird zur Mega-Supermacht des 21. Jahrhunderts. Nachdem es quasi die Monopolherrschaft über die wichtigsten Zukunftstechnologien übernommen hat und reihenweise Durchbrüche in Sektoren wie Gentechnik, Quantentechnik und Lebensverlängerungsmedizin erzielen konnte, steigt es auch zur hochtechnologisch führenden Nation auf, einschließlich eines unbesiegbaren Militärs. Die USA dekonstruieren sich nach einem Quasi-Bürgerkrieg 2025 selbst. 2030 gründet China den Großen Asiatischen Staatenbund, dem auch Indien beitritt. 2050 verkündet China das endgültige Aus für alle fossilen Energien, einschließlich des Baus von 100 großen Fusionskraftwerken.
Das Zeitalter der Gigastädte
Heute leben bereits mehr als 50 Prozent aller Menschen in Ballungs-Agglomerationen mit mehr als 10 Millionen Einwohner:innen. In 500 Megastädten werden bald 3 Milliarden Menschen leben. Die Verdichtung führt zu immer mehr Differenzierung, Individualisierung und energetischer Aktivität, aus der es keinen Ausweg mehr gibt. Irgendwann werden so gut wie alle Menschen in verdichteten Konglomeraten leben. Auf dem Land regieren die Agrarroboter, und ein erheblicher Teil der Bevölkerung zieht auf riesige Kreuzfahrtschiffe, auf autonome Inselarchipele oder in künstliche Wüsten-Superstädte – „The Line“ in Saudi-Arabien liefert einen Vorgeschmack.
Das Zeitalter der Verbindungen
Nach Ansicht des australischen Philosophen Glenn A. Albrecht sollte die nächste Ära der Menschheitsgeschichte die Bezeichnung „Symbiozän“ erhalten. Symbiose bezeichnet den Lebenszusammenhang zum gegenseitigen Nutzen. Nach der Logik von Trend und Gegentrend entsteht ein Zeitalter, in der wir einen freundlichen Umgang mit Ökonomie, Ökologie und uns selbst erlernen – eine „Kindness Economy“.