Neue Wege für kollektives Handeln im Zeitalter der Hyperpolitik

Demokratie gedeiht durch Imagination, kollektives Handeln und aktive Partizipation. Angesichts der Herausforderungen der ‚Hyperpolitik‘, Individualisierung und des demokratischen Rückschritts ist es an der Zeit, neu zu überdenken, wie wir Bürger:innen einbinden, Vertrauen aufbauen und Systeme gestalten, die gemeinsame Verantwortung für langfristige Veränderungen ermöglichen.

von Mathias Behn Bjørnhof

10. Februar 2025

Lassen Sie mich mit meinem eigenen Weg beginnen, auf dem ich mich intensiver mit (den Zukünften) der Demokratie beschäftigt habe. Er war alles andere als linear. In meinem frühen Zwanzigern wechselte ich, wie es junge Menschen tun, von dem Wunsch, Anthropologe zu werden, zu Historiker, Diplomat und Innovationsspezialist – bis ich schließlich zum Zukunftsforscher und Unternehmer wurde.

Jede subtile Veränderung spiegelte meine Neugier und den Wunsch wider, das größere Ganze zu sehen. Erst als ich die Zukunftsforschung entdeckte, erkannte ich, dass ich das perfekte Feld gefunden hatte. Eines, das multidisziplinäre Perspektiven zusammenbringt, um zu erforschen, wie sich Gesellschaften und Systeme im Laufe der Zeit verändern und vor allem, wie wir die Zukünfte gestalten können, die wir sehen wollen.

Das Zeitalter der Hyperpolitik

Zukunftsarbeit, insbesondere wenn sie auf die Demokratie angewendet wird, verbindet sich tief mit dem Kern dessen, was es bedeutet, in einer Gesellschaft zu leben und sie zu gestalten. Demokratie in ihrem modernen Sinne entstand aus dem imaginativen Sprung, dass wir uns eine bessere Zukunft vorstellen könnten. Thomas Mores Utopia – vor über 500 Jahren veröffentlicht – ist ein kraftvolles Beispiel dafür. Es legte den Grundstein für die Vorstellung einer Welt, in der Menschen Einfluss auf ihr kollektives Schicksal haben. Dieser Akt der Vorstellungskraft mobilisierte die Massen und führte zu Revolutionen, die die demokratischen Prinzipien formten, die wir heute als selbstverständlich betrachten.

Aber heute steht die Demokratie vor einer neuen Art der Herausforderung. Wir leben in einem Zeitalter, das einige ‚Hyperpolitik‘ nennen. Alles fühlt sich politisch an und kollektives Handeln ist schwer fassbar geworden. Soziale Medien und eine algorithmusgesteuerte Individualisierung haben den persönlichen Ausdruck verstärkt, während sie unsere Fähigkeit untergraben haben, gemeinsam an geteilten Zielen zu arbeiten. Gemeinschaften zerbrechen, langfristige Verpflichtungen schwinden, und unsere Fähigkeit, systemische Herausforderungen – Klimawandel, Ungleichheit, demokratischer Rückschritt – anzugehen, wird schwächer.

Mit der Intensivierung der Hyperpolitik ziehen sich Individuen in reaktive Haltungen zurück. Äußern Meinungen, aber distanzieren sich von der nachhaltigen Arbeit des Aufbaus von Systemen, die sinnvolle Veränderungen bewirken können. Es ist nicht schwer zu verstehen, warum. Kollektives Handeln erfordert Vertrauen, Verantwortlichkeit und den Glauben, dass die eigenen Bemühungen zählen. Diese Qualitäten sind rar, jetzt wo Institutionen zu schwanken scheinen und die Polarisierung zunimmt.

Demokratie und Zukunft: Intrinsisch verbunden

Demokratie war schon immer ein Akt kollektiver Vorstellungskraft. Sie existiert nicht abstrakt, sondern als etwas, das wir durch Gespräche, Debatten und Handlungen schaffen. Im besten Fall ist Demokratie unordentlich, iterativ und zutiefst menschlich – ein System, das den Wert von Meinungsverschiedenheiten anerkennt und gleichzeitig auf gemeinsame Ziele hinarbeitet. Aber sie ist auch fragil.

In meiner Arbeit kehre ich oft zu der Idee zurück, dass Demokratie eine Debatte ist, die wir ständig neu erfinden. Letztlich geht es darum, Raum zu schaffen, um sich das Mögliche vorzustellen – anstatt sich mit dem abzufinden, was ist. Dies erfordert, dass wir Annahmen in Frage stellen, Systeme hinterfragen, die uns nicht mehr dienen, und an die Möglichkeit von etwas Besserem glauben.

Die moderne Krise der Demokratie betrifft nicht nur den Vertrauensverlust in Institutionen. Es geht um einen Verlust an Vorstellungskraft. Viele Menschen sehen Demokratie als etwas, das ihnen passiert, anstatt sich als Teil dessen zu verstehen. Diese „Stealth-Demokratie“-Mentalität geht davon aus, dass Expert:innen die Dinge hinter den Kulissen regeln, wodurch die Bürger:innen frei sind, sich zurückzuziehen. Aber Demokratie kann ohne aktive Teilnahme nicht funktionieren.

Die Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen

Weltweit steht die Demokratie unter Druck von gleich mehreren Seiten:

  • Wachsende Ungleichheiten spalten Gesellschaften und konzentrieren Macht.
  • Fehlinformation und Manipulation gedeihen in einer fragmentierten Medienlandschaft und untergraben Vertrauen.
  • Individualisierung, angetrieben durch algorithmische Echokammern, entfernt Menschen von gemeinsamen Realitäten.
  • Polarisierung, sowohl politisch als auch sozial, vertieft Spaltungen und entmutigt sinnvollen Dialog.

Wir schaffen Technologie, aber Technologie formt uns wiederum. Das digitale Zeitalter hat neu definiert, wie wir interagieren, wie wir Meinungen bilden und wie wir uns mit Governance beschäftigen. Während diese Kräfte den gesellschaftlichen Zusammenhalt auflösen, schaffen sie auch Möglichkeiten, neu zu denken und neu zu gestalten.

Kollektives Handeln neu denken

Wenn die Demokratie gedeihen soll, müssen wir überdenken, wie wir politische Gemeinschaften aufbauen. Tatsächlicher Wandel ist eine Teamleistung, keine Solo-Mission. Um voranzukommen, müssen wir Systeme entwerfen, die Engagement inspirieren, Verantwortlichkeit fördern und kollektives Handeln ermöglichen.

Hier sind einige mögliche Wege:

  • Bürgerversammlungen: Alltägliche Menschen in strukturierte, beratende Prozesse einbeziehen, in denen sie komplexe Themen abwägen und Politik gestalten können. Dies baut Vertrauen auf und bindet die Bürger:innen wieder in die Entscheidungsfindung ein.
  • Erweiterte Demokratie: Nutzung von Technologie (hauptsächlich digitale Zwillinge), um direktere und transparentere Formen der Teilnahme zu ermöglichen und gleichzeitig Zugänglichkeit und Gerechtigkeit sicherzustellen.
  • Engagement auf Gemeinschaftsebene: Dezentralisierung der Entscheidungsfindung, um die Macht näher an die gelebte Realität der Menschen zu bringen. Dies schafft greifbare Verbindungen zwischen Governance und dem täglichen Leben.
  • Bildung und Volksbildung: In Dänemark erfasst das Konzept der „dannelse“ (ein wesentlicher Bestandteil des Wortes ‚uddannelse‘, das dänische Wort für Bildung) die Idee, ‚ganzheitliche‘ Bürger:innen zu formen, die sowohl kenntnisreich als auch engagiert sind. Wir müssen die staatsbürgerliche Bildung neu überdenken, um Menschen mit den Werkzeugen auszustatten, um sinnvoll an der Demokratie und damit an der Gesellschaft teilzunehmen.

Mathias Behn Bjørnhof ist Zukunftsforscher und Gründer des Beratungsunternehmens ANTICIPATE mit Sitz in Kopenhagen. Auf seinem Blog veröffentlichte er diesen Artikel im englischen Original im Januar 2024.

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