Konsum zwischen Lust und Frust

Ein Auszug aus dem Future:Guide Konsum.

von Janine Seitz

2. Juni 2025

„Hoppla“ heißt es da von Experten, als wäre man mal kurz gestolpert. Die Wirtschaft in Deutschland ist im ersten Quartal gewachsen – unerwarteterweise. Zuletzt war die Wirtschaft geschrumpft, Prognosen für 2025 gehen von einem Null-Wachstum aus, nun sei man etwas weniger pessimistisch. Die Konsumlaune sei gestiegen, viele Menschen hätten mehr Geld in der Tasche, das sie nun auch bereitwilliger ausgeben.

Konsumlaune, Identitätsstifter, Wirtschaftsmotor

Ketzerische Frage: Warum ist kein Wachstum eigentlich schlecht? Es bedeutet ja eigentlich nur, dass es nicht „mehr” wird, aber eben auch nicht „weniger“. Ist es nicht schön so, wie es ist, muss es immer „mehr“ sein? Und was hat Konsum mit „Launen“ und „Stimmungen“ zu tun? Konsum ist längst hochgradig emotional aufgeladen, Menschen definieren ihre Identität über Konsum, kaufen sich positive Gefühle ein, werden selbst zur Ware. Privater Konsum hält die Wirtschaft am Laufen, ohne Konsum kein Wirtschaftswachstum.

Das Leben ist Konsum. Ist Konsum Leben?

Konsum durchdringt alle Sphären des Alltags, der Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman beschreibt unser „Leben als Konsum“. Doch Konsumieren – und damit in Folge auch unser Leben – hat längst einen bitteren Beigeschmack: Konsum ist anstrengend geworden. Wir konsumieren nicht mehr, weil wir es uns leisten können. Konsum hat seinen Reiz verloren, ist längst Routine, nichts außergewöhnliches mehr. Shopping gilt als eine der unbeliebtesten Freizeitbeschäftigungen, jede:r Dritte Deutsche würde am liebsten gar keine Zeit mehr mit Einkaufen verbringen.

Gestern war die Zukunft besser – zumindest aus der Sicht von heute

Einerseits scheinen die Konsumierenden die Lust am Einkaufen mehr und mehr zu verlieren, andererseits sehen sich Unternehmen neuen Herausforderungen wie Zollchaos und Handelskonflikten gegenüber. Auch wenn immer mehr klar wird, dass Trump vor allem Verunsicherung stiften und Ängste schüren will, sorgt diese Kombination für eine Konsumkrise: Verbraucher:innen sehnen sich nach freudvollen, sinnstiftenden Erlebnissen, Unternehmen gehen auf Nummer Sicher und wagen kaum Innovationen und Experimente. Hinzu kommt noch, dass Angst keine gute Grundlage für Entscheidungen ist. Denn Angst blockiert den Blick auf das Mögliche und Machbare. Resultat ist häufig eine Rückkehr zu Strategien, die einmal in der Vergangenheit funktioniert haben. Zurück zu Gas, zurück zu Atom, zurück zu Fleisch und tierischen Produkten, zurück zur 40-Stunden-Woche im Büro, zurück ins Patriarchat. Zurück zu den Konsummustern des 20. Jahrhunderts.

Das Beste aller Zeiten für die Zukunft nutzen

Doch aus dem Blick zurück lassen sich durchaus auch positive Zukunftsbilder ableiten:

  • Konsum verbindet. Schon immer kamen Menschen für gemeinsame Interessen zusammen: Man trifft sich, um gemeinsam zu essen, zu feiern und sich auszutauschen. Auf Märkten wurde gefeilscht, mit Tante Emma geplauscht – es ging immer um Kommunikation und Kauf. Der Wandel von Konsumtempeln zu Konsummaschinen nahm erst Mitte des 20. Jahrhunderts seinen Lauf – und endete im Niedergang der Kaufhäuser. Auch die Einkaufsmeilen in den Innenstädten sind ein Phänomen der Neuzeit – und durchlaufen aktuell eine Metamorphose, den dort Menschen (wieder) mehr Vielfalt und Aufenthaltsqualität zu bieten. Denn ein hyperindividuelles, höchst personalisiertes Produktangebot und eine seamless Kauferfahrung machen noch kein Konsumerlebnis aus. Kaum verwunderlich, dass im Onlineshopping immer mehr Gaming- und Social-Elemente integriert werden. Konsum ist Kommunikation.  
  • Repairing is caring: In der Wegwerfgesellschaft ist automatisch das Neue das Bessere. Handwerk und Reparatur spielten in den letzten Jahrzehnten kaum mehr eine Rolle. Wieso etwas mühsam reparieren, wenn man es einfach neu kaufen kann? Die Globalisierung und der Freihandel sorgten für billige Neuwaren en masse. Durch die drohenden Handelskriege muss wieder neu über den Wert eines Produkts (inklusive Herstellung, Vertrieb und Entsorgung) nachgedacht werden und Zölle sorgen für eine künstliche Verteuerung von importierten Waren, das Risiko für eine Inflation steigt. Reshoring durch Zölle sorgt zwar für eine Rückverlagerung der Industrien in das eigene Land, zugleich aber auch für Preissteigerungen, sprich das Leben wird in Summe teurer. So könnten Reparaturen und das Wiederaufbereiten von Produkten künftig nicht nur nachhaltiger, sondern auch preislich attraktiv sein. Reparieren erlebt eine Renaissance. 
  • Vintage boomt: Während man früher die Klamotten der älteren Geschwister „auftragen” musste und Antiquitäten von Geschmack und wahrem Luxus zeugten, erleben gebrauchte Waren jeglicher Couleur aktuell ein Revival. Secondhand-Läden, Flohmärkte oder Resale-Plattformen sind längst im Mainstream angekommen. Das “Alte”, das „Gebrauchte” bekommt wieder einen Wert, es wird mit einer Aura des Einzigartigen, des Uniquen aufgeladen – zugleich lässt es sich mit einem guten Gewissen nach Lust und Laune shoppen. In einer Welt, in der man alles haben kann, wird das Einzelstück zum begehrten Objekt; aber es ist auch durchaus okay, wenn es nicht in der passenden Größe oder Ausführung verfügbar ist bzw. das macht auch genau wieder den Reiz aus: Nicht alles haben zu können – und zu müssen. Gebraucht ist wertvoll.

Die Zukunftsangst umarmen – und loslassen

Innovationen entstehen nicht aus dem Nichts, sondern aus dem Neu Zusammensetzen und Rekombinieren; Transformationen sind keine geradlinigen Entwicklungen, sie durchlaufen Schleifen, erleben Backlashes, aber werden letztendlich immer im Zusammenspiel zwischen Trends und Gegentrends vorangetrieben. Gegentrends zeigen somit, wo Überforderung, Übersättigung oder Widerstand zu neuen Haltungen, Bedürfnissen und Systemfragen führen. Und nur aus diesen Widersprüchen kann echter Wandel entstehen – und Konsum neu gedacht werden. Dabei ist eine Rückbesinnung auf so manch Altes durchaus sinn- und wertvoll. Früher war definitiv nicht alles besser, aber durchaus manches und von vielem haben wir uns glücklicherweise verabschiedet. Von was wir uns allerdings auf jeden Fall verabschieden sollten, ist die Angst. Wir dürfen sie noch ein letztes Mal fest umarmen – und dann loslassen.

Janine Seitz ist Zukunftsforscherin, Kulturwissenschaftlerin und Expertin für Konsumkultur. Aus den Dynamiken von Trends und Gegentrends entwickelt sie ein ganzheitliches Verständnis von Konsum, das die menschlichen Bedürfnisse in den Mittelpunkt rückt.