Es wird viel über neue Anwendungen von Künstlicher Intelligenz (KI) gesprochen, doch häufig stehen Handelsunternehmen in Deutschland und Österreich noch relativ am Anfang des Einsatzes. Wagen wir einen Ausblick zum Einsatz von KI im Handel, der besonders ein zentrales Thema lösen soll: die Konsumflaute.
8. April 2025
„Die kommenden KI-Strategien für den Einzelhandel sind einfacher umzusetzen, als gedacht.“
– Handels-Zukunftsforscherin Theresa Schleicher
Es verändert sich 2025 etwas in der digitalen Diskussion. Laut dem Gartner Hype Cycle hat Künstliche Intelligenz (KI) die Hauptstufe der KI-Angst und Desillusionen erreicht. Die Euphorie weicht unternehmerischer Sichtweise. Das ist sinnvoll, denn es zeigt sich, dass die Gesellschaft längst weiter ist als viele Unternehmen.
Eine neue Generation wächst heran, für 42 Prozent der AI-Natives (12-19 Jahre) ist das irrelevant, ob sie mit einem Bot oder einem Kundenberater online sprechen, solange der Service stimmt. Auch ein Drittel der 12- bis 28-Jährigen in Österreich verwendet ChatGPT bereits regelmäßig. Sie erwarten von Unternehmen nicht nur Lösungen, die funktionieren, sondern inspirieren und begeistern. Das wird genau jetzt, in Zeiten bewussten Konsums, vollen Lagern und Billigaktionswahn, für den Handel in Österreich so wichtig.
Was viele abhält, ist oft ein festgesetzter Irrglaube: Händler im Mittelstand schrecken vor KI-Lösungen zurück, weil ihnen eingebläut wird, dass sie teuer, aufwändig oder kompliziert seien. Konzerne tun sich hingegen oft schwer, KI mit Kreativität und Leichtigkeit zu verbinden. Doch damit verpasst der Handel viele einfache Chancen, neue Kunden zu erreichen und zu begeistern.
KI-Tools analysieren das Kundenverhalten, Nachfragetrends, Präferenzen und Kaufhistorien, um maßgeschneiderte Produktempfehlungen zu erstellen. Dabei geht es nicht nur darum, Kund:innen an häufig gekaufte Produkte zu erinnern oder ergänzende Empfehlungen zu geben, um den Warenkorb kreativer zu gestalten. Vielmehr liegt der Fokus zunehmend auf der Entwicklung neuer Produkte und Eigenmarken, basierend auf den stetig wachsenden Datenmengen aus bestehenden Käufen, Suchanfragen, Bewertungen, lokalen und saisonalen Präferenzen, oder Social-Media-Trends.
Ein Beispiel dafür liefert der asiatische Supermarkt Hema von Alibaba, der neben vorhandenen Daten gezielt Kundenfeedback aus Wettbewerben und Umfragen nutzt, um neue Produkte zu entwickeln.
Wer im Mittelstand mit den eigenen vollen Lagern und bestehenden Produkten beschäftigt ist, kann mit KI und intelligenten Warenwirtschaftssystemen schnell erkennen, zu welchem Preis, an welchem Ort und welcher Filiale seine Produkte besser funktionieren. Aber auch mit einem Klick Lagerbestände an digitale Plattformen wie Ebay, Kaufland, Amazon etc. verkaufen.
KI-gestützte Assistenten und intuitive Chatbots, die Sinne wie Tasten, Hören und Sehen simulieren, ermöglichen Interaktionen mit Onlineshops oder Kunden-Apps, die sich zunehmend wie ein Gespräch mit einem menschlichen Verkäufer anfühlen.
Ein Beispiel ist das deutsche Start-up FrontNow, dessen Bot Fragen wie „Was brauche ich für Gericht XY?“, „Was soll ich essen, wenn ich eine bestimmte Ernährungsweise verfolge?“ oder „Was brauche ich, um meinen Gartenzaun zu reparieren?“ beantworten kann. Konsument:innen gewöhnen sich zunehmend an sinnlich intuitive Tools, die sehen, fühlen und sprechen. Von sprachbasierten und intuitiven Rezeptdatenbanken bis zu Avatar-Küchenhelfern, die Kund:innen neue Impulse im Lebensmittelbereich geben, liegt hier noch viel Potenzial. In anderen Branchen haben KI-Tools eine besonders umsatzsteigernde Wirkung.
Start-ups wie Arch AI deuten nur an, dass es heute möglich ist, die eigene Wohnung abzufotografieren und in Sekunden wird sie virtuell neu renoviert und umgestaltet. Für Interieur und die Garten- und Baumarktbranche bieten KI-basierte Technologien ganz neue Chancen, Menschen zu inspirieren, die sonst vor weißen Wänden oder grünen Rasen stehen und dann aus Vorsicht oder fehlender Kreativität die wenigen „Standards“ im Markt kaufen. Eine Baumarktkette fragte letztens nach einem passenden Start-up – wir haben es kurzerhand gemeinsam in ein paar Wochen selbst gebaut. Es ist heute so einfach.
Lange Zeit dominierte die Sorge um den demografischen Wandel das Narrativ der Arbeitswelt: Der Mangel an jungen Fachkräften werde Unternehmen vor immense Herausforderungen stellen. Doch während viele noch über das Problem diskutieren, zeichnet sich in den kreativen Branchen der DACH-Region bereits ein bemerkenswerter Shift ab. Gerade die oberen Altersklassen, die sich aktiv mit generativer KI auseinandersetzen, erleben derzeit eine vielversprechende Zukunft. Sie kombinieren ihre Jahrzehnte an Erfahrung, Fachwissen und Arbeitskompetenz mit KI-gestützten Tools – und sind damit in der Lage, schneller, effizienter und präziser zu produzieren, zu analysieren und innovative Lösungen zu entwickeln.
In vielen Bereichen entsteht dadurch ein Ausgleich: Während junge Fachkräfte zunehmend von KI-Tools unterstützt oder in manchen Fällen sogar ersetzt werden, entwickeln sich erfahrene Mitarbeiter:innen zu digital souveränen Führungskräften, die nicht nur Technologie verstehen, sondern vor allem wissen, welche Informationen, Impulse und kreativen Ideen sie in KI-Systeme einspeisen müssen, um Kaufimpulse, Innovationen und neue Beziehungen zu gestalten.
Weitere KI-Trends, Beispiele und Strategien der Zukunftsforscherin Theresa Schleicher gibt es auf der Bühne und in der von ihr herausgegebenen Zukunftsstudie Handel.
Dieser Gastbeitrag erschien zuerst hier.