Eine Rezension von Taja Anto
25. Juni 2025
Mit „The Comet. Afrofuturism 2.0“ gab die Autorin und Afrofuturistin Natasha A. Kelly 2020 eine Anthologie heraus, die mehr ist als eine Textsammlung: Das Werk ist ein interdisziplinäres Portal, das Schwarze Zukunftsperspektiven jenseits eurozentrischer Kategorien sichtbar, erfahrbar und lesbar macht. Bilingual angelegt, auf Deutsch und Englisch, schlägt das Buch sprachlich wie inhaltlich Brücken – transatlantisch, transhistorisch, transdisziplinär.
Das Herzstück der Publikation ist die erste deutsche Übersetzung von W. E. B. Du Bois’ Kurzgeschichte „The Comet“ (1920), angefertigt von Natasha A. Kelly selbst, die neben ihren wissenschaftlichen und kuratorischen Tätigkeiten auch als gelernte Übersetzerin arbeitet. Die Übersetzung ist mehr als eine bloße Übertragung: Sie ist ein symbolischer Akt der Rückgewinnung Schwarzer intellektueller Traditionen für einen Raum, in dem sie lange ignoriert oder exotisiert wurden.
Du Bois (1868–1963) gilt als ein Wegbereiter des Afrofuturismus. Während seines Studiums in Deutschland entwickelte er zur Blütezeit des deutschen Kolonialismus viele seiner bahnbrechenden Ideen, die Schwarze Geschichte mit Zukunftsvisionen verbanden. Diese Kombination aus historischer Tiefe und spekulativer Kraft ist es, die ihn für viele als frühen Afrofuturisten lesbar macht. Henry Louis Gates Jr., Direktor des W. E. B. Du Bois Institute an der Harvard University, nennt Du Bois in seinem Beitrag „einen der größten Denker des 20. Jahrhunderts“ und hebt die Aktualität des Werkes hervor: „‚The Comet‘ reicht über nationale und kontinentale Grenzen hinweg, um Verbindungen zwischen Afrodeutschland und Schwarzen Gemeinschaften weltweit herzustellen.“
1993 prägte der US-amerikanischen Schriftsteller und Kulturkritiker Mark Dery in seinem Essay „Black to the Future“ den Begriff „Afrofuturism“ vor allem im Kontext Schwarzer US-amerikanischer Popkultur. „Afrofuturism 2.0“ führt diesen Ansatz entschieden weiter: Der von Reynaldo Anderson und John Jennings eingeführte Begriff beschreibt eine postdigitale, dekoloniale und epistemologisch vielschichtige Perspektive, die Schwarze Wissenssysteme und Zukunftsnarrative nicht in westlich-akademische Kategorien einpasst, sondern als eigene Denklogiken anerkennt.
„Afrofuturism 2.0“ überschreitet dabei die klassischen Grenzen von Musik, Kunst und Literatur. Er ist eine politische und technologische Strategie – eine Vision für Gerechtigkeit, Verwurzelung und planetare Zukunftsgestaltung. In „The Comet. Afrofuturism 2.0“ wird dieses Denken konkret: Die versammelten Beiträge reichen von Essays über Interviews bis hin zu künstlerischen Arbeiten, etwa Technologie, Heilung, Spiritualität oder Urbanismus, die bereits 2018 auf einem Symposium am HAU in Berlin einem breiten Publikum zugänglich gemacht wurden.
Herausgeberin Natasha A. Kelly ist auch eine zentrale Stimme der Afrofuturismus-Bewegung in Deutschland: Als Gründungsmitglied des BSAM (Black Speculative Arts Movement) trägt sie maßgeblich dazu bei, dass afrofuturistisches Denken auch im deutschsprachigen Raum institutionell und intellektuell Fuß fassen kann. So ist in „The Comet. Afrofuturism 2.0“ auch das BSAM-Manifesto abgedruckt. Der programmatische Text, der in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde und weltweit Anerkennung findet, formuliert eine klare politische Dimension von Afrofuturismus: Es geht nicht nur um Repräsentation, sondern um Transformation. Das Manifest ruft zur Dekolonisierung von Wissen, Technologie und Vorstellungskraft auf – und ermutigt zu spekulativen Visionen, die Schwarze Realitäten nicht nur beschreiben, sondern aktiv verändern.
Dass die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) die Publikation 2021 vollständig übernahm und in einer Sonderausgabe neu auflegte, unterstreicht die inhaltliche Relevanz von „The Comet. Afrofuturism 2.0“ für die politische Bildung in Deutschland. Und es trägt weiter dazu bei, eine neue, breitere Zielgruppe zu erschließen – auch jenseits akademischer oder künstlerischer Kontexte.
Insgesamt lässt sich „The Comet. Afrofuturism 2.0“ damit als vielstimmiger Auftakt zu einer neuen Phase afrofuturistischen Denkens in Deutschland und Europa betrachten. Natasha A. Kelly hat ein Werk geschaffen, das gleichermaßen archiviert, aktiviert und antizipiert – und in den vergangenen fünf Jahren weiter an Bekanntheit gewonnen hat.