Wie wir die Zukunfts-Resignation überwinden und ein neues Zeitgefühl kultivieren.
– Ein Auszug aus dem Buch „Radikale Zuversicht: Ein Handbuch für Krisenzeiten.“
von Lena Papasabbas
Illustration: Julian Horx
24. Oktober 2025
Verlust ist ein prägendes Lebensgefühl unserer Zeit.
Verlust von Kontrolle, von Normalität, von Sicherheiten … vor allem aber: Verlust von Zukunft.
Wir wissen nicht mehr so recht, wo es eigentlich hingehen soll. Die einzigen, die noch Visionen haben, sind scheinbar rechte Tech-Milliardäre, die ihre Zukunftsvisionen mit wachsender politischer Macht durchsetzen, während sie nebenbei das Internet in eine Konsum-Maximierungs- und Ideologie-Maschine umbauen.
Wir stehen diesen Entwicklungen scheinbar wehrlos gegenüber. Alternative Zukunftsnarrative sind Mangelware. Doch viel dringender als konkrete Zukunftsbilder, die inhaltlich zu unseren Werten passen, brauchen wir eine bestimmte Haltung zur Zukunft, die uns über die aktuelle Krise hinausblicken lässt.
Denn eins lässt sich mit Sicherheit sagen: Die Zukunftsvisionen, die Tech-Milliardäre erdacht, entworfen, berechnet und erträumt haben, werden sich nicht in der Weise bewahrheiten. Wir dürfen darauf vertrauen, dass die Zukunft, die sich bisher zuverlässig jeder Prognose entzogen hat, auch weiterhin unvorhersehbar bleibt – und ganz anders wird als gedacht. Sie wird nicht so werden, wie von den Musks und Thiels dieser Welt gerade geplant wird. Wie die Zukunft stattdessen aussehen könnte, daran versuchen wir uns mit unseren Modellen anzunähern.
Wie genau diese Zukunft aussieht, die da auf uns zukommt, die wir also im Außen verorten, hängt essentiell davon ab, welche Haltung wir im Inneren zur Zukunft pflegen. Wir können passiv darauf hoffen, dass alles besser wird. Oder wir können aktiv anfangen, radikale Zuversicht zu kultivieren.

Die Zuversicht ist mit der Hoffnung verwandt, nimmt die Zukunft aber nicht als etwas wahr, das einem passiert, sondern als etwas, an dem man aktiv teilhat. Es gibt einen kleinen, feinen Unterschied: Hoffen wir darauf, dass alles gut wird? Oder sind wir zuversichtlich, dass wir mit dem, was kommt, gut umgehen können? Zuversicht speist sich aus dem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Ressourcen, um das Leben aktiv zu gestalten.
Radikale Zuversicht ist eine Haltung, die nicht durch konkrete Zukunftsbilder getragen wird, sondern durch das Vertrauen auf ein noch nicht vorstellbares Kommende.
Eine Zukunft also, die über das gerade Bekannte und Mögliche hinausgeht – so war es bisher immer in der Menschheitsgeschichte. Unsere Gegenwart mit Flugzeugen, Internet und Frauenwahlrecht war noch vor 200 Jahren eine unvorstellbare, unmögliche und unerreichbare Träumerei.
Radikale Zuversicht richtet sich also auf eine Zukunft, für die unsere aktuellen Konzepte und Begriffe noch nicht ausreichen, um sie begreifen zu können. Aber, wie es die Zukunft so an sich hat, können wir sie hier und da schon erspüren. Vielleicht in der Kindness-Bewegung, die seit vielen Jahren leise und liebevoll vor sich hin wächst, in der kollektiven Sinnsuche ganzer Generationen, die die Frage nach dem Sinn der Wirtschaft neu stellen, in der unendlichen Nachfrage an Coaching und Rat zur inneren Reifung, in dem Aufstieg von fast vergessenen Tugenden wie Achtsamkeit und Dankbarkeit und in den Biografien von Menschen, die am Höhepunkt ihrer Karriere vom Banker zum Bäcker wechseln …
Diese Zeichen können wir leicht übersehen. Unsere Filter sind auf Untergang eingestellt: Gewalt, Krise, Katastrophe. Doch Newsportale sind Zerrbilder der Realität. Auf dem Screen sind Menschen Monster, die sich gegenseitig und ihre Umwelt zerstören. Doch heben wir einmal den Blick vom Bildschirm und blicken nach links und nach rechts, stellen wir fest: Die meisten Menschen sind eigentlich ganz ok. Viele Menschen haben keine Lust mehr auf den ständigen Untergangsmodus. Um nicht zu resignieren, müssen wir einen neuen Blick auf die Welt kultivieren. Der uns erlaubt die ganze Vielfalt der Möglichkeiten wahrzunehmen.
Diese Haltung brauchen wir, nicht nur um nicht in Nostalgie oder rückwärtsgewandten Ideologien zu verfallen, sondern um aus der Resignation und Erschöpfung rauszukommen. Zukunft betrifft uns schließlich alle.
Wir brauchen eine Haltung zur Welt, die weder das Negative ausblendet, noch sich von Angst überwältigen lässt, die dem Träumen, Sehnen und Freuen genauso viel Raum gibt wie dem Fürchten und Wüten. Ein Denken, das Fantasie und Kreativität zurück in die Zukunft bringt, und sich nicht nur auf die kalten Berechnungen der Künstlichen Intelligenz verlässt.
Im Kern steht eine geistige Beweglichkeit, die uns befreit von den Zwängen der unmittelbaren Gegenwart. Von eingeschliffenen Denkgewohnheiten. Dem Korsett der eingeübten Weltwahrnehmung. Radikale Zuversicht erlaubt uns einen konstruktiven, vielleicht sogar liebevollen Umgang mit einer komplexen Welt. Diese Haltung gewinnt man nicht von heute auf morgen. Aber: Sie lässt sich üben.

Wer sich ständig über „die Politik“, die Chefin oder die Deutsche Bahn aufregt, vergisst zum einen, wie enorm privilegiert wir sind und macht sich zum anderen zum hilflosen Opfer. Selbstwirksamkeit beginnt mit einer radikalen Akzeptanz dessen, was gerade ist.
Wie viele Probleme unserer Zeit entstehen aus gekränkten (Männer-)Egos? Der beste Trick gegen Narzissmus: Sich selbst nicht so ernst nehmen! Wenn wir es schaffen, mit entwaffnender Ehrlichkeit und liebevoller Ironie auf unsere eigene Fehlbarkeit zu reagieren, werden wir unangreifbar für unsere (inneren) Kritiker.
Unser Gehirn mag klare Kategorien: Mann oder Frau, Körper oder Geist, „normal“ oder „verrückt“. Aber das sind nur Modelle von der Welt, nicht die Realität. Je mehr wir aufhören, die Welt in Schubladen aufzuräumen, desto interessanter, bunter und schließlich auch entspannter wird es.
Das neueste iPhone, die neuste KI-App, das neueste Tesla-Modell, der neuste Tracking-Ring… Technologien sollen unser Leben besser machen. Doch wir haben verlernt, das Neue vom Besseren zu unterscheiden! Die wirklich wichtigen Innovationsfelder der Zukunft liegen weder im Hightech noch auf dem Mars – sondern in der Krankenpflege, im Bildungswesen, im funktionierenden Zusammenleben.
Moderne Menschen leben fast nur noch in ihrem Kopf. Dabei sind wir eigentlich mit der Fähigkeit, ganz im Moment zu sein, auf die Welt gekommen: Wenn ein Kind ein Eis isst, ist es mit allen Sinnen dabei – heute machen wir erstmal ein Bild für Insta. Um wieder ins Hier und Jetzt kommen, brauchen wir keine Mediations-App oder Achtsamkeits-Coaches, sondern ein simples: Zurück zur Sinnlichkeit!
Viele Menschen glauben, einen objektiven Zugang zur Realität zu haben, doch tatsächlich ist unser Blick auf die Wirklichkeit stets verzerrt von unseren subjektiven Filtern, Erfahrungen und Vorannahmen. Diese Erkenntnis hilft enorm, sich nicht in sinnlosen Symbolkämpfen mit Andersdenkenden zu verzetteln und sich auf das konzentrieren, was wirklich zählt: Gemeinsame Werte!
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Angst lähmt. Wer davon ausgeht, dass die Welt untergeht, tut nichts mehr dafür, dass sie besser wird. Obwohl wir jeden Tag mit schlechten Nachrichten überflutet werden, herrscht direkt vor unserer Haustüre Ruhe und Frieden. Trauen wir uns, das Elend der Welt einmal loszulassen und das Gute bewusst zu suchen, entsteht neue Kraft und Ideen die Zukunft zu gestalten.
Das letzte Zeitalter, in dessen Ausläufern wir leben, ist ein sehr rationalistisches Zeitalter. Das hat viele Vorteile. Aber wenn Wissenschaft, Daten und Ratio, Religion, Spiritualität und Emotion vollständig ersetzen, stirbt menschliche Kreativität und Vorstellungskraft. Um das neue Zeitalter zu imaginieren, brauchen wir wieder ein bisschen Zauber, Schwärmerei, Magie und: Romantik!
