Im zweiten Teil seiner neuen Artikel-Reihe über die Zukunft der Künstlichen Intelligenz stellt Zukunftsforscher Matthias Horx acht Prognosen über den Fortgang der disruptiven Technologie auf.
Teil 1: Das KI-Gespenst. Wie ein Dämon uns in die Irre führt. Ein Rant (Wutanfall).
von Matthias Horx
4. November 2025
Stellen wir uns vor, zwischen Mensch und Maschine, oder Kultur und Technologie, gäbe es eine Art intimer Beziehung. Das TECHNIUM (ein Begriff des amerikanischen Zukunftsforscher Kevin Kelly) würde mit dem HUMANUM in einem wechselseitige Anpassungs- und Evolutionsprozess stehen. Einer „verschränkten Adaption“, ähnlich wie bei erfolgreichen Paaren.
In der Geschichte haben disruptive Technologien zunächst viel Unheil in menschlichen Verhältnissen angerichtet. Besonders, wenn sie die medialen Systeme betrafen. Die Erfindung des Buchdrucks hat keineswegs direkt in die Bildungsgesellschaft geführt, sondern zunächst die Kriege Europas zu schrecklichen Gräueltaten angefacht. Es dauerte Jahrhunderte, bis daraus aus der Reproduktion von Texten ein „lesendes Bildungssystem“ wurde. Die Dampfmaschine zerstörte gewachsene Lebens-Strukturen der agrarischen Gesellschaft und stürzte ganze Bevölkerungsgruppen ins soziale Elend. Es dauerte Jahrhunderte, bis daraus eine Wohlstands-Welt wurde, in der die Menschen nicht nur Maschinensklaven sind, sondern auch am Fortschritt teilhaben können.
Disruptive Technologien wie die Künstliche Intelligenz sind zunächst ein Nullsummenspiel, in dem die Nachteile die Vorteile überwiegen. Durch die menschliche Kultur, durch humanes Wirken und kulturelle Adaptionen, werden sie aber irgendwann zu Nichtnullsummenspielen. Zu Win-Win-Verhältnissen.
Das ist der grosse Auftrag an unsere menschliche Zukunft: Die KI zähmen und sie in die menschliche Kultur einfügen. Sie „zivilisieren“. Dass wir uns dabei selbst verändern müssen, liegt auf der Hand. Die Frage lautet aber: geschieht dies, indem wir uns dem Maschinellen anpassen? Oder indem wir unsere Menschlichkeit neu entdecken und formen?
Dieser ganze Prozess wird, so sagen es uns historische Erfahrungen mit Querschnitts-Technologien, mindestens ein Vierteljahrhundert dauern. Und ja: es wird mühsam. Aber auch spannend. Und erhellend. Es geht um die Zukunft an sich. Im menschlichen Sinn.
„Ich möchte, dass die KI meine Wäsche und mein Geschirr wäscht, damit ich Kunst machen und Schreiben kann. Nicht, dass KI meine Kunst und mein Schreiben übernimmt, damit ich meine Wäsche und mein Geschirr mache.“Joanna Maciejewska, Autorin und Videospiel-Spezialistin
„Wir sollten kein Prompting lehren. Sondern das Beurteilen von Resultaten.“gefunden auf Substack
Die ungeheuren Investitionen, die heute zum Aufbau der KI verwendet werden, zielen vor allem auf das Versprechen der Effizienzgewinnung in Unternehmen und Organisationen. Um den „Pferdefuß“ zu verstehen, ist es jedoch wichtig, den Unterschied von Effizienz und Effektivität zu kennen.
Effizienz ist ein Prozess, bei dem man mit geringeren Mittel mehr aus einem Teilsystem herausholt. Die Buchhaltung, in der früher 100 Mitarbeiter:innen arbeiteten, wird durch 10 „Botdompteure“ extrem effizient gemacht. Der Aussendienst, diese Schnarchnasen, werden durch Search-Bots im Internet ersetzt, die automatisch Bestellungen schicken und abwickeln. Keine menschliche Handlung mehr nötig. Wahnsinnig viel Geld gespart.
Soviel die Theorie.
Die Praxis sieht aber anders aus, weil sie komplexer ist.
Während Effizienz die Energiedichte eines Teilbereichs benennt, beschreibt Effektivität die innere BALANCE eines Gesamt-Systems. Das Zusammenwirken der einzelnen Teile für das gemeinsame Ziel, einschließlich der daraus resultierenden Aussenbeziehungen. Effektivität regelt durch Feedback-Loops die Prozesse des Systems immer auf die richtig synchronisierte Geschwindigkeit herunter. Man kann es mit einer „Ökologie“ vergleichen: In einem Biotop kooperieren alle Organismen mit- und gegeneinander und gleichen dadurch das Gesamtsystem aus. Wenn eine Spezies „übereffektiv“ wird, kann das ganze System aus der Balance geraten (dann entstehen neue Feedback-Loops des Ausgleichs).
Unausgereifte und „grob“ eingesetzte KI-Technik kann zu unzähligen Schnittstellen-Problemen in den Gesamtabläufen eines Unternehmens führen. Ein Unternehmen, dessen Vertrieb optimiert ist, das aber nicht liefern kann, weil die Fabriken veraltet sind, wird nicht weit kommen. Leicht kann es passieren, dass man einen Großteil der Kunden verliert, wenn man die gesamte Kommunikation auf Bots umstellt. Dann kommt es zu Kaskaden von Beschwerden und Reklamationen, die durch teure menschliche Mitarbeiter ausgebügelt werden müssen. Das System wechselt von KOMPLEX zu KOMPLIZIERT.
Viele KI-Anwendungen erzeugen auch Aversionen. Kunden wollen menschlichen Kontakt. Auch in Zukunft. Mitarbeiter:innen wollen nicht für ihre Selbstabschaffung zwangsrekrutiert werden. Deshalb gibt es in vielen Unternehmen massive interne Widerstände. Brachial eingeführte KI führt oft zu einer Krise der Firmenkultur, die nun keinen Rhythmus, keinen „Einklang“ mehr findet. Alle müssen nun gegeneinander konkurrieren, um sich selbst im Zeichen der Effizienz abzuschaffen.
Der Gott des Chaos betritt die Bühne.
Und bleibt dort sitzen.
Bis er alles auseinandergenommen hat.
„Die erste Regel für jede in einem Unternehmen eingesetzte Technologie lautet: Die Automatisierung eines effizienten Betriebs steigert die Effizienz. Die zweite Regel lautet: Die Automatisierung eines ineffizienten Betriebs steigert die Ineffizienz.“Jaron Lanier, amerikanischer Informatiker und Künstler
PS: Dieser Text wurde mit nur geringer Hilfe von KI erzeugt (für Übersetzungen). Die KI gibt immer nur Antworten. In Richtung Zukunft geht es aber um die besseren Fragen.
Im dritten Teil seiner KI-Reihe nimmt Matthias Horx Gegenprognosen zur Zukunft der Künstlichen Intelligenz in den Blick und zeigt, wo sich bereits konstruktive Zukunftspfade dieser Technologie abzeichnen.
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